Sylvie Lindeperg
»Nacht und Nebel«. Ein Film in der Geschichte.
Aus dem Französischen von Stefan Barmann
Band 14, Texte zum Dokumentarfilm, herausgegeben von der dfi - Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW
Berlin 2010, 350 Seiten, Broschur, € 19,00
ISBN 978-3-940384-24-9
Lindepergs in Frankreich preisgekrönte Biographie des berühmten KZ-Films von Resnais als Schlüssel zur Zeitgeschichte – jetzt auf Deutsch zugänglich.
Der Film »NUIT ET BROUILLARD« (»NACHT UND NEBEL«, 1956) von Alain Resnais über das nationalsozialistische KZ-System hat Bilder der Lager erstmals nach dem Krieg international einem großen Publikum vermittelt. Lindepergs Studie ist die Biographie dieses Films als »Mikrogeschichte in Bewegung« und der Benjaminschen Aufforderung an den Historiker verpflichtet, »in der Analyse des kleinen Einzelmoments den Kristall des Totalgeschehens zu entdecken«.
Ausgehend von dem Gedanken, dass sich mediale Produkte erst in den verschiedenen Schichten ihrer Entstehungs- und Gebrauchsgeschichte erschließen, zeichnet Lindeperg zunächst anhand von archivalischen Quellenstudien die einzelnen Etappen der Filmherstellung von der Idee über unterschiedliche Drehbuchversionen und die filmischen Umsetzung durch Alain Resnais bis hin zum Schnitt nach.
Dann untersucht sie den Weg des Films vom Start bis in die Gegenwart mitsamt seinen Zensurskandalen sowie ›Übersetzungsfehlern‹ und Schnittauflagen im Zuge der internationalen Auswertung. Die Untersuchung zeigt so nicht alleine, wie der Film zur Geschichte, sondern wie er in der Geschichte steht – und sich im Verlauf der Zeit ›bewegt‹.
Es gibt alleine drei deutsche Sprachfassungen, die Lindeperg einem analysierenden Vergleich unterzieht: die westdeutsche mit dem Kommentar von Paul Celan (der sich signifikant vom Originaltext Jean Cayrols unterscheidet), einei von der DEFA und eine des DDR-Fernsehens.
Zieht man Lindepergs Analysen der Übersetzungen des Kommentartextes in andere Sprachen hinzu, so lässt sich schon hieraus ablesen, wie sehr diese divergenten Lesarten durchwoben sind von Politik, Geschichtsschreibung, nationalhistorischer Didaktik usw.
Lindepergs brillante Studie ist damit weit über den Kreis der Dokumentarfilm-Interessierten hinaus bedeutsam: die exemplarische Filmbiographie ist als Methode zeit- und filmhistorischer Forschung etabliert und trägt der immer enger werdenden Verschränkung von Medien und Geschichte Rechnung.
Das Buch wurde nominiert für den Willy-Haas-Preis 2010.
Die Autorin Sylvie Lindeperg ist Professorin für Filmgeschichte an der Universität Paris I- Panthéon Sorbonne.
Publikationen u.a.:
Les Écrans de l’ombre. La Seconde Guerre mondiale dans le cinéma français (prix Jean-Mitry de l’Institut Jean Vigo)
Clio de 5 à 7. Les actualités filmées de la Libératio.
"...Wie kann es also kommen, dass ein Film, der in großen Teilen auf noch ungenügender historischer Forschung beruht, der Bilder falsch zuordnet und das besondere Schicksal der Juden nur am Rande in den Blick nimmt, der also im Grunde zu früh kam, bis heute eines der wirkmächtigsten Monumente der Geschichtspolitik und der sogenannten Vergangenheitsbewältigung werden konnte?... ">Das eben ins Deutsche übersetzte Buch "Nacht und Nebel. Ein Film in der Geschichte" von Sylvie Lindeperg gibt auf diese Fragen gründliche Antworten..."
(Bert Rebhandl, die tageszeitung vom 19. Jan. 2011, ganzer taz-Artikel)
"... Nun liegt endlich die definitive Studie über "Nacht und Nebel" vor, die nicht nur erklärt, warum Resnais unser aller Vorstellung von KZs entscheidend geprägt hat, mehr als "Holocaust", sondern auch die Widerstände beschreibt, auf die der Film überall stieß. Sylvie Lindeperg vollzieht nicht nur die Entstehung nach, sondern malt ein Zeitpanorama..."
(Hanns-Georg Rodek, DIE WELT vom 24. Jan. 2011, ganzer WELT-Artikel)
"Ein halbes Jahrhundert musste vergehen, bis es ein ein Buch [über 'Nacht und Nebel' und dessen Rezeption] gibt, und es ist aufschlussreich, dass dieses Buch aus Frankreich kommt, einem jener Länder, die am meisten unter dem Nationalsozialismus zu leiden hatten. Sylvie Lindeperg ist Professorin für Filmgeschichte an der Sorbonne-Universität und diplomierte Politologin. Für sie unterscheidet sich Resnais' Film fundamental von späteren wohlmeinenden Versuchen einer 'filmischen Verbilderung' von Geschichte, die 'am Ende eine Realität nach ihrem eigenen Maßstab erschaffen haben'. Der Film fühle sich viel eher 'einer Kunst der Hinterlegung' verpflichtet, er trete nicht an die Stelle des Ereignisses, 'er empfängt es'. Je mehr sich die Autorin in den Entstehungsprozess des Films vertiefte, so bekennt sie in der Einleitung zu ihrem Buch, habe sie erkannt, dass 'Nacht und Nebel' ein unter Schmerzen entstandenes Produkt ausweichender Blicke, eineinander greifender Schwächen und vereinter Ohnmachten sei..."".
(Franz Everchor in Film-Dienst Nr. 6 / 2011)
"...Das Buch erforscht die „Spuren einer handfesten Auseinandersetzung zwischen Kunst, Geschichte und Archiv“ (S. 13), wobei Lindeperg alle drei Orte besucht, untersucht und die Splitter und Spuren, die in 'Nuit et Brouillard' explizit und implizit enthalten sind, zusammenträgt. Die filmbiografischeDimension der Studie wird dabei noch um eine biografische erweitert. Indem Lindeperg die eindrückliche und widersprüchliche Lebensgeschichte der am Film in wichtiger Funktion beteiligten Historikerin Olga Wormser als Rahmung ihrer filmbiografischen Operation wählt, perspektiviert sie wiederum ihre eigene Arbeit an 'Nuit et Brouillard'. Nicht zuletzt erzählt Lindeperg die hinter den Namen Resnais und Eisler weitgehend vergessene Geschichte von Wormser, die gleichzeitig Zeugin und Chronistin der dem Film zugrunde liegenden Ereignisse war und die das Projekt gewissermaßen überhaupt erst begründete..."
(Tobias Ebbrecht, Filmblatt Nr. 44 / 2011)
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