Dokumentarfilminitiative
Eine Gruppe von Männern in schwarzen Roben und Anzügen steht unter einem großen, knorrigen Baum. Im Hintergrund eine Wiese und ein See. Rechts sitzt jemand an einem Schreibtisch.
Symposium

PROZESSIEREN.

Zwischen dokumentarischen und juristischen Verfahren.

am 11./12. Januar 2024, Filmhaus Köln

Der Dokumentarfilm und die Judikative teilen einen an sie gestellten Anspruch: Beiden soll es um Wahrheit gehen – dem Ersteren in Bezug auf die Wirklichkeit, der Letzteren in Bezug auf Dimensionen von Schuld, Verantwortlichkeit und Recht. Beide übertragen konkrete Ereignisse in Bild bzw. Sprache, um (strittige) Sachverhalte überhaupt erst verhandelbar zu machen.

Das dfi-Symposium 2024 nimmt das komplexe Verhältnis zwischen Justiz und Dokumentarfilm in den Fokus und versammelt film- und medienwissenschaftliche Perspektiven sowie aktuelle Positionen aus Fernsehen, Kino, Kunst und Literatur, um diese Beziehung auf Basis gemeinsamer Filmsichtungen in Vorträgen, Podiumsdiskussionen, vertiefenden Filmgesprächen sowie im Dialog mit dem Publikum zu verhandeln.

Dabei wird die Vielfalt an Ansätzen und Formen sichtbar, die der Dokumentarfilm entwickelt hat, um sich der „richterlichen Gewalt“ anzuschmiegen, sich ihr zu widersetzen, sich mit alternativen Vorstellungen von Wahrheit und Recht auseinanderzusetzen und diese in der sozialen Wirklichkeit zu verankern.

Die Nürnberger Prozesse zählen zu den ersten Gerichtsverhandlungen, die als Verbund juristischer und filmisch-inszenatorischer Praktiken angelegt waren und als Medienereignis einer (Welt-) Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Die französische Historikerin Sylvie Lindeperg legt in einem Vortrag dar, wie das aufgenommene Material eine Erfahrung der Anhörungen bietet, die die gedruckten Prozessprotokolle ergänzt, manchmal sogar korrigiert, und wie sich in den Bildern die unterschiedlichen Rechtsphilosophien spiegeln, die im Gerichtssaal aufeinandertreffen. Die Teilhabe an einer solchen Erfahrung ist auch Intention von Sergei Loznitsas THE KIEV TRIAL, der den 1946 in Kiew geführten Prozess gegen deutsche Kriegsverbrecher mittels einer Montage von Archivmaterial rekonstruiert.

Die Anwesenheit von Kameras bei Gerichtsverhandlungen ist allerdings die Ausnahme. Zumindest in Deutschland lässt Justitia sich nicht bei der Arbeit zusehen. Mit der Frage, wie der Dokumentarfilm juristische Verfahren darstellen und verhandeln kann, die nicht gefilmt werden dürfen, hat sich Dominik Wessely für seine Fernseharbeit LOVEPARADE – DIE VERHANDLUNG auseinandergesetzt.

Die Begegnung von Dokumentarfilm, Wahrheitssuche und Rechtsprechung findet aber auch jenseits des Gerichtsaals statt. Philip Scheffners REVISION oder Mareike Berniens und Alex Gerbaulets TIEFENSCHÄRFE rollen bereits abgeschlossene Fälle in filmischen Tatorterkundungen erneut auf, um gegen gefällte Urteile und juristische Versäumnisse Einspruch zu erheben. Angela Summereders ZECHMEISTER, eine hybride Inszenierung von gerichtlichen Sprechakten, positioniert die unmenschlich-leblosen Robenträger zum Gerichthalten unter einem Baum, während HOW MUCH STATE IS IN THE NAZI SCENE nur noch geschreddertes Papier im Geäst eines kahlen Baums zeigt, um auf der Tonebene von behördlicher Beweismittelvernichtung im Kontext der NSU-Prozesse zu berichten, deren künstlerisch-politische Be- und Aufarbeitung anhand von Filmbeispielen und Lesung in einer Gesprächsrunde diskutiert wird.

Ein Experimentelles Kurzfilmprogramm nimmt Arbeiten in den Blick, die für ihre künstlerische Evidenzforschung auf die Beweiskraft des dokumentarischen Bildes setzen und anhand von Found Footage institutionalisierte Gewalt, staatliche Repression und Zensur sichtbar machen.

Die Faszination für True-Crime-Formate, die forensische Spurensuchen und juristische Faktenlagen filmisch übersetzen, scheint ungebrochen. Johanna Behre, Regina Schilling und Marie Wilke reflektieren anhand aktueller TV-Beispiele nicht zuletzt die Rolle, die öffentliche Medien bei der Implementierung von Wahrheiten und Ideen von Recht in der Gesellschaft einnehmen.

Das Symposium richtet sich an Filmschaffende, Historiker:innen, Journalist:innen, Studierende und generell Filminteressierte.

Pressemitteilung 30.10.2023

Teilnahmegebühr
2 Tage € 40 / € 20
1 Tag € 20 / € 10
1/2 Tag € 10 / € 5
Ermäßigung für Mitglieder Filmbüro NW, AG DOK und kooperierende Institutionen, Studierende und sonstige Ermäßigungsberechtigung

Anmeldung
über das Anmeldeformular online

Veranstaltungsort
Filmhaus Köln • Maybachstraße 111 • 50670 Köln

Konzept & Programm
Michelle Koch koch@dokumentarfilminitiative.de

Pressekontakt
Stefanie Görtz • goertz@dokumentarfilminitiative.de • mobil: 0170-2037198

Veranstalterin
dfi-Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW e.V.
Leitung: Judith Funke
Filmhaus Köln
Maybachstraße 111
50670 Köln
0221 170 66 508
dfi@filmbuero-nw.de

09.00 Foyer
AKKREDITIERUNG

09:30 – 09:50 Kino
BEGRÜSSUNG                                                                                              

09:50 – 10:40 Kino
Nuremberg, the battle of the images
Vortrag von Sylvie Lindeperg in englischer Sprache

10:40 – 12:30 Kino
THE KIEV TRIAL (Sergei Loznitsa, NL/UA 2022, 106’, Russisch, Ukrainisch, Deutsch mit englischen Untertiteln)

12:30 – 13:45 Foyer
MITTAGESSEN

13:45 – 14:30 Kino
PROZESS-REKONSTRUKTION MITTELS ARCHIVMATERIAL
Filmgespräch zu THE KIEV TRIAL mit Judith Keilbach und Sylvie Lindeperg in englischer Sprache

14:30 – 15:15 Foyer
GLOSSAR
Austauschrunde über Schlüsselbegriffe zu dokumentarischen und juristischen Prozessen.
Begriffssammlung: Alejandro Bachmann, Mirjam Baumert, Helan Darwish, Franca Pape, Elena Ubrig, Marja Vormann

15:15 – 15:45 Foyer
KAFFEEPAUSE

15:45 – 17:15 Kino
LOVEPARADE – DIE VERHANDLUNG (Dominik Wessely, DE/ES 2020, 89’, Deutsch)

17:15 – 18:00 Kino
WIE EIN VERFAHREN DARSTELLEN, DAS MAN NICHT FILMEN DARF?
Filmgespräch zu LOVEPARADE – DIE VERHANDLUNG mit Dominik Wessely (via Zoom), Antje Boehmert (via Zoom), Till Vielrose und Hajo Schomerus

18:00 – 18:45 Kino
PUBLIKUMSDISKUSSION MIT ALLEN BETEILIGTEN                        

18:45 – 20:15 Foyer
ABENDESSEN                   

20:15 – 22:05 Kino
REVISION (Philip Scheffner, DE 2012, 106’, Deutsch, Romani, Rumänisch mit deutschen Untertiteln)

09:30 – 11:00 Kino
„BEKLAGEN, ANKLAGEN, EINKLAGEN“ – Zivilgesellschaftliche Revisionen des NSU-Prozesses
Podiumsdiskussion mit Filmen und Lesung
Gäste: Alex Gerbaulet (via Zoom), Ayşe Güleç (via Zoom) und Kathrin Röggla

TIEFENSCHÄRFE (Mareike Bernien & Alex Gerbaulet, DE 2017, 14:30’, Deutsch)
Laufendes Verfahren (Kathrin Röggla, Roman, DE 2023, S. Fischer Verlag, Deutsch)
HOW MUCH STATE IS IN THE NAZI SCENE? (Tribunal SPOTS / Michel Klöfkorn, DE 2017, 3’)
BEST COURT EVER (Tribunal SPOTS / Cana Bilir-Meier, AT/DE 2017, 3’)

11:00 – 11:15 Foyer
KAFFEEPAUSE

11:15 – 13:00 Kino
FOOTAGE AS PROOF: Aktivistische Investigationen institutioneller Gewalt
Experimentelles Kurzfilmprogramm mit Filmgesprächen
Gäste: Narges Kalhor (via Zoom), Volker Köster, Jyoti Mistry (via Zoom, Englisch)

WO FEUER IST, IST AUCH RAUCH (Volker Köster, DE 2016, 30’, Französisch mit deutschen Untertiteln)
SENSITIVE CONTENT (Narges Kalhor, DE 2022, 9’, Farsi mit englischen Untertiteln)
CAUSE OF DEATH (Jyoti Mistry, ZA/AT 2020, 20’, Englisch)

13:00 – 14:15 FOYER
MITTAGESSEN                         

14:15 – 15:30 KINO
ZECHMEISTER (Angela Summereder, AT 1981, 75’, Deutsch)            

15:30 – 16:15 KINO
HYBRIDE INSZENIERUNG VON ERINNERUNG UND GERICHTLICHEN SPRECHAKTEN
Filmgespräch zu ZECHMEISTER mit Angela Summereder

16:15 – 16:45 FOYER
KAFFEEPAUSE

16:45 – 18.15 KINO
TRUE CRIME FÜRS FERNSEHEN – Wahrheitssuchen in den öffentlichen Medien
Podiumsdiskussion mit Johanna Behre, Regina Schilling, Marie Wilke und Ausschnitten aus
HÖLLENTAL (Marie Wilke, DE 2021, ZDF, 276’, Deutsch)
DIESE SENDUNG IST KEIN SPIEL – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann (Regina Schilling, DE 2023, ZDF, 87’, Deutsch)
MORD, MACHT, MEDIEN. DER FALL JENS SÖRING (DE 2023, ARD, 110’, Deutsch)

18:15 – 19:15 FOYER
ABSCHLUSSDISKUSSION MIT ALLEN BETEILIGTEN

THE KIEV TRIAL (Sergei Loznitsa, NL/UA 2022, 106’, Russisch, Ukrainisch, Deutsch mit englischen Untertiteln)
LOVEPARADE – DIE VERHANDLUNG (Dominik Wessely, DE/ES 2020, 89’, Deutsch)
REVISION (Philip Scheffner, DE 2012, 106’, Deutsch, Romani, Rumänisch mit deutschen Untertiteln)
TIEFENSCHÄRFE (Mareike Bernien & Alex Gerbaulet, DE 2017, 14:30’, Deutsch)
HOW MUCH STATE IS IN THE NAZI SCENE? (Tribunal SPOTS / Michel Klöfkorn, DE 2017, 3’)
BEST COURT EVER (Tribunal SPOTS / Cana Bilir-Meier, AT/DE 2017, 3’)
WO FEUER IST, IST AUCH RAUCH (Volker Köster, DE 2016, 30’, Französisch mit deutschen Untertiteln)
SENSITIVE CONTENT (Narges Kalhor, DE 2022, 9’, Farsi mit englischen Untertiteln)
CAUSE OF DEATH (Jyoti Mistry, ZA/AT 2020, 20’, Englisch)
ZECHMEISTER (Angela Summereder, AT 1981, 75’, Deutsch)

Ausschnitte aus:
HÖLLENTAL (Marie Wilke, DE 2021, ZDF, 276’, Deutsch)
DIESE SENDUNG IST KEIN SPIEL – Die unheimliche Welt des Eduard Zimmermann (Regina Schilling, DE 2023, ZDF, 87’, Deutsch)
MORD, MACHT, MEDIEN. DER FALL JENS SÖRING (DE 2023, ARD, 110’, Deutsch)

Alejandro Bachmann (Professor für Filmgeschichte und Filmtheorie / Kunsthochschule für Medien Köln), Mirjam Baumert (Filmbildung und Atelier / Filmhaus Köln), Johanna Behre (Produzentin/ argon film & argon podcast), Antje Boehmert (Autorin und Produzentin / DOCDAYS Productions), Helan Darwish (Studierende der Medizin, Mentee im Filmhaus 2022), Matthias Dell (freier Redakteur und Autor), Alex Gerbaulet (Künstlerin, Filmemacherin und Produzentin), Ayşe Güleç (Pädagogin, Kuratorin, Kunstvermittlerin, Autorin und forschende Aktivistin), Narges Kalhor (Filmregisseurin, Videokünstlerin und Filmeditorin), Michelle Koch (freie Autorin, Redakteurin und Vermittlerin), Volker Köster (Dokumentarfilm- und Videokünstler), Judith Keilbach ( Professorin Media and Culture Studies / Utrecht University), Sylvie Lindeperg (Historikerin und Professorin / Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne), Jyoti Mistry (Filmkünstlerin und Professorin für Film / Universität Göteborg), Franca Pape (Studierende Literarisches Schreiben und Dokumentarfilm / Kunsthochschule für Medien Köln), Mala Reinhardt (Regisseurin und Produzentin), Kathrin Röggla (Schriftstellerin, Prosa- und Theaterautorin, Professorin für Literarisches Schreiben / Kunsthochschule für Medien Köln), Regina Schilling, (Dokumentarfilmerin), Hajo Schomerus (Kameramann und Regisseur, Professor für Kamera / Internationale Filmschule Köln), Angela Summereder (Autorin und Regisseurin), Elena Ubrig (Studierende Mediale Künste / Kunsthochschule für Medien Köln), Till Vielrose (Bildgestaltender Kameramann für szenische und dokumentare Projekte), Marja Suna Vormann (Dokumentarfilmerin, Kamerafrau und Studierende Mediale Künste / Kunsthochschule für Medien Köln), Dominik Wessely (Autor und Regisseur), Marie Wilke (Regisseurin, Autorin und freiberufliche Dozentin),

Eine Veranstaltung der dfi – Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW e.V., gefördert von Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Kulturamt der Stadt Köln und VFF Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten mbH. In Kooperation mit AG DOK Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm, Filmhaus Köln, Kunsthochschule für Medien Köln und Netzwerk Filmkultur NRW

  • Logo Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Rechts daneben das Landswappen mit grün-weißem Schuld links und weißem springenden Pferd auf rotem Grund links.
  • Logo des Kulturamts der Stadt Köln. Rot auf weißem Hintergrund links das Kölner Wappen, rechts daneben Stadt Köln und darunter Kulturamt.