Dokumentarfilminitiative
Programmfkyer des Symposiums Dokumentarfilme für Kinder 2001. schwarz-weiß und grün
Symposium

Dokumentarfilme für Kinder

Bestandsaufnahme - Best Practice - Perspektiven

Interviews

Der schwedische Arthaus-Verleih Folkets Bio wurde 1973 von Filmemachern und Filmstudenten gegründet. Mit Sitz in Stockholm vertreibt er schwedische und internationale Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme. Zu Folkets Bio gehören außerdem 14 Programmkinos in Schweden und das Videolabel Cinemagi. Für den Vertrieb von Kinder- und Jugendfilmen hat Folkets Bio ein interessantes und erfolgreiches Konzept entwickelt, das neben den Kino-Aufführungen auch in großem Maße Schulvorführungen umfasst. Der Verleih stellt den Lehrern darüber hinaus Unterrichts-Material zur Verfügung.

Rose-Marie Strand ist bei Folkets Bio verantwortlich für den Bereich Kinder- und Jugendfilm. Im September wird sie auf dem Symposium Dokumentarfilme für Kinder; über die Arbeit des Verleihs und ihre Erfahrungen berichten. Vorab ein Gespräch.

Was ist Ihre Aufgabe bei Folkets Bio?

Ich kaufe Kinder- und Jugendfilme an und entwickle die Vertriebspläne sowohl für die Kino- als auch für die Schulvorführungen. Letztere machen einen großen Teil unseres Umsatzes in dieser Sparte aus. Die Filmvorführungen werden von den Kinobesitzern und Lehrern selbst organisiert. Mein Job ist es, interessante, gute und witzige Filme zu finden und den Lehrer pädagogische und methodische Ideen an die Hand zu geben, wie sie mit den Filmen im Unterricht arbeiten können.
Wir stellen das Lehrmaterial auch auf unsere Website, und das schwedische Filminstitut veröffentlicht das Material zu unseren Filmen in der Zeitschrift ZOOM.

Was verstehen Sie unter Medienerziehung?

Im weitesten Sinne bedeutet es, bewegte Bilder im Unterricht einzusetzen. Im engeren Sinne sollen Kinder lernen, Filmsprache zu verstehen: Was sieht man, wie sieht man und was vermittelt der Subtext? Dazu gehört aber auch, selbst Filme zu machen.

Wie groß ist der Anteil der Kinder- und Jugendfilme im Gesamtprogramm von Folkets Bio?

Wir sind ein kleiner Verleih mit 8 Angestellten, davon zwei Einkäufer. Mein Kollege kauft jährlich 20-22 Arthausfilme und ich kaufe 4-6 Kinder- und Jugendfilme. Dies zeigt schon, dass es schwer ist, Kinobetreiber und Lehrer zu überzeugen, Kinderfilme zu zeigen. Unser Umsatz wird vor allem mit dem regulären Arthaus-Repertoire erwirtschaftet.

Wer finanziert ihr Engagement im Kinderfilmbereich?

Das schwedische Filminstitut unterstützt uns über einen Zeitraum von zehn Jahren mit einem Betrag, der die Kosten für eine ganze Stelle sichert. Die Filme, die ich kaufe, müssen dennoch ihre Kosten wieder einspielen und natürlich einen kleinen Gewinn abwerfen. Wir arbeiten in einem absolut kommerziellen Bereich. Auch wenn wir unterstützt werden, unterliegen wir natürlich den Marktgesetzen.

Zahlen Lehrer und Kinder für die Filmvorführungen und Diskussionen?

Ja, aber nur wenig. Wie groß ist der Anteil der Dokumentarfilme für Kinder im Verleih von Folkets Bio? Wir verleihen etwa 24-28 Filme pro Jahr, mindestens 5-6 davon sind Dokumentarfilme, die in den Kinos laufen. Leider sind dabei nur selten Filme für Kinder. Ein positives Beispiel war "Aligermaas Abenteuer", der ein schöner Erfolg in den Kinos und ein Riesenerfolg in den Schulaufführungen war.

Haben Sie den Eindruck, dass Dokumentarfilme von Kindern anders rezipiert werden als Spielfilme?

Es gibt bei Kindern großes Interesse etwas über andere Menschen, Länder und Kulturen zu sehen und zu lernen. Aber es muss auf interessante Weise erzählt werden. Was das heißt, wird vielleicht Gegenstand des Symposiums sein? Je schwieriger ein Thema aufbereitet ist, desto mehr sind Lehrer und Eltern gefordert, die Zusammenhänge zu erklären.

Wann ist ein Dokumentarfilm für Kinder geeignet? Welche Kriterien haben Sie bei der Filmauswahl?

Sie müssen einen humorvollen Touch haben und die Charaktere dürfen nicht zweidimensional sein, es müssen lebendige Personen sein. Kinder sehen gerne starke Kinder, die mutig sind und dennoch Spaß haben. Es dürfen keine Tragödien sein.

Glauben Sie, dass das Angebot von künstlerisch anspruchsvollen Dokumentationen für Kinder eine größere Nachfrage in diesem Bereich erzeugen könnte?

Auf jeden Fall. "Aligermas Abenteuer" hat gezeigt, dass ein Interesse an anspruchsvollen Kinderdoks besteht und diese ihr Publikum finden, im Kino und später auf Video. Produzenten und Regisseure sollten mehr wagen und künstlerische Dokumentarfilme mit Blick auf eine Kino-Vermarktung drehen.

Die 1990 in Köln gegründete Gruppe 5 hat sich der anspruchsvollen Fernsehdokumentation verschrieben. Die international co-produzierte 13teilige Dokumentar-Serie "Fabeltiere" war weltweit zu sehen und ein großer Erfolg. Beim Symposium werden Teile als eines der best-practice-Beispiele zu sehen sein. Uwe Kersken, Gründungsmitglied der Gruppe 5, ist Teilnehmer des Workshops zu Fragen der Förderung von Kinderdokumentarfilmen.

Die "Fabeltiere" präsentieren sich mit der auf Wiedererkennung gerichteten Titelmusik, dem Trailer und ihrer gesamten Struktur als ein wohlkomponiertes Produkt. Können Sie die Entstehung des Projektes skizzieren?

Wir wissen natürlich seit ein paar Jahren, dass, wenn man eine Serie fürs internationale Fernsehen machen will, sie in jeder Hinsicht durchkomponiert sein muss. Dass heißt, die Stories müssen auf ähnliche Weise erzählt sein, das Verhältnis von Dokumentarischem in dem Fall, reenactments und special effects muss etwa ähnlich sein. Vorspann und der Nachspann müssen so gemacht werden, dass sie immer einen Wiedererkennungseffekt haben für jede einzelne Sendung von dreizehn. Das wird international verlangt und ist auch fürs deutsche Fernsehen nicht falsch. Allerdings gibt es hier sehr selten die Gelegenheit, eine 13teilige Dokumentarfilme zu produzieren. Es gibt Ausnahmen wie "2000 Jahre Christen", aber das sind hoch aufgehängte Projekte. Normalerweise ist es sehr schwierig so etwas in Deutschland zu realisieren und zu verkaufen. Aber international ist das an der Tagesordnung. International werden vor allem große Pakete gemacht und verkauft, auch Einzelteile. Dies ist aber viel schwieriger.

Auch im Bereich Dokumentarfilm?

Ja! Es gibt da große Filme über das Tal der Könige, 7 Teile über Vulkane oder 13 Teile über die schönsten Spionagefälle der Welt usw. Die meisten Sender halten sich nicht mehr damit auf, sich auf Messen in Cannes oder Las Vegas irgendwelche Einzelfilme anzugucken. Gerne nimmt man Pakete, die durchaus auch aus 5 oder 6 Einzelfilmen bestehen können.

Das Projekt entstand in Ko-Produktion mit dem WDR, KiKa, Explore Int., National Geographic TV und wurde von der Filmstiftung NRW gefördert. Welche Erfahrungen haben Sie mit dieser internationalen Finanzierung gemacht?

Man muss das vielleicht noch mal genauer fassen: DocStar ist eine Vertriebsgesellschaft, die an Canal+ angegliedert ist. Deren Schwester, Explore International, verkauft die Produktionen in der Welt. Sie sitzt in London und ist die gemeinsame Tochter von National Geographic und Canal+. Wenn Sie denen eine Serie oder anderes verkaufen, dann wird dieses Programm im Vorfeld ganz genau geprüft, ob es in dem ganzen Netzwerk dieser Sender Sinn macht. Die Filme, die so gekauft werden, oder pre-sale-mäßig produziert werden, haben, wenn man keine Fehler macht, im Grunde genommen den Weltvertrieb schon garantiert, bevor man einen Meter gedreht hat. So war das auch hier. Die hohe Summe, die die beigesteuert haben, setzt sich teilweise zusammen aus Lizenzgebühren für bestimmte Länder, in denen die Serie gezeigt wurde, z.B. bei Canal+ und sogenannte pre-sales für Territorien, wo man vielleicht beabsichtigt, die Serie in Zukunft zu zeigen. Es gibt auch Länder, wo National Geographic nicht verankert ist. Dort fragt man dann andere Sender, ob sie an der Serie interessiert sind.

Ist das für den Bereich der Kinderdokumentationen also ein zukunftsträchtiges Modell?

Wenn Sie die Kinderprogramme der Welt betrachten und Sie beziehen alle Genres mit ein, wo natürlich Zeichentrick, Animation in hohem Maße dazugehören, dann geht das nur so. Das ist vielleicht nicht jedermanns Geschmack, aber gerade im Kinderbereich gibt es einen irrsinnig großen Markt, mit riesengroßen Vertriebsfirmen, Produktionsfirmen.

Wie ist das in Deutschland? "Fabeltiere" scheint da eine Vorreiterrolle einzunehmen?

Genreübergreifend betrachtet werden im deutschen Fernsehen die großen Produktionen in der Regel in der Welt eingekauft. Die großen Animationen, die Sonntagsmorgens bei RTL, Sat1, beim WDR laufen, das sind in der Regel alles Einkäufe, nur ein geringer Prozentsatz wurde in Deutschland gemacht. Der dokumentarische Kinderfilm - wobei die "Fabeltiere" für mich ja kein Kinderprogramm in dem Sinne sind, sondern eher Kinder-, Jugend-, Familienprogramm - der wird in Deutschland als Serie sehr selten gemacht. Denn "Fabeltiere" ist ja eine dokumentarische Serie, wenn auch mit Spielszenen und mit special effects. Das hatte früher eine gewisse Tradition, aber heute kommt so was aus Deutschland überhaupt nicht mehr. Das wird bestenfalls angekauft. Insofern haben die "Fabeltiere" eine Vorreiterrolle. Aber Vorreiter kann man ja nur sein, wenn man irgendwie Nachreiter hat.

Und die sind nicht in Sicht?

Wir werden schon wieder was machen, das darauf aufbaut, denn die Redaktion und der WDR waren insgesamt sehr zufrieden. Aber ich würde nicht sagen, dass das ein allgemeines Phänomen ist. 1992 und `95 haben wir jeweils für die gleiche Redaktion eine Serie gemacht über Delphine, auch fürs Kinderprogramm. Das heißt, alle zwei bis vier Jahre überlegt man, ob man wieder so etwas großes versucht.

Welchen Einfluss hatte der Gedanke der internationalen Vermarktung auf die Entwicklung des Sujets?

Ich gehe da nicht anders ran, als an Filme generell. Denn für mich ist alles interessant, was für ein Weltpublikum auch interessant ist. Damit will ich nicht sagen, dass es nicht sehr spezifische Filme geben kann, die für ein bestimmtes Land, oder sogar eine Stadt wichtig wären. Aber es gibt ein allgemeines Bedürfnis, schöne Geschichten zu sehen. Hier handelt es sich ja um Märchen und die sind deshalb so interessant und für meine Begriffe genial, weil wir die Märchen nicht aus einer eurozentrischen Sicht gesehen haben. Wir lassen die Leute vor Ort, die mit den Tieren leben, aus ihrer Sicht die Geschichten erzählen, ob das nun in Borneo oder Alaska ist. Insofern ist das ja automatisch ein Weltprogramm. So kann der Mensch in Borneo, -Fernsehen gucken kann man überall- sehen, was sein Kollege mit den Delphinen am Amazonas macht. Und dann vielleicht Parallelen feststellen. Dass der womöglich den Delphin genauso verflucht, wie er den Orang Utang verflucht, oder liebt. Das ist für mich ein Weltprogramm. Damit meine ich nicht, dass man alles globalisiert sehen muss, oder alles gleich machen muss. Es gibt sicher auch schlechte Strömungen in dieser Richtung. Aber gerade unser Programm ist das eigentlich nicht, denn wir lassen ja jeden zu Wort kommen, wir stülpen ja nicht unsere Meinung drauf. Außerdem bin ich stolz darauf, dass unser Programm jeder sehen kann. Ich mag das, wenn mir ein ganz einfacher Mensch auf der Straße sagt, ‚Mensch, ich wusste gar nicht, dass es einen Humboldt bei uns gab. Das ist ja toll, ich hab' mir da jetzt mal ein Buch gekauft.' Und "Fabeltiere" kann auch jeder sehen und verstehen. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht scheinbar witzige, lustige Sendungen machen, aber bei Licht betrachtet, ist das alles bourgeois. Unsere Zielgruppe ist nicht nur die intellektuelle Bourgeoisie, sondern die Allgemeinheit. Wir machen Fernsehen. Verstehen Sie, man kann sich entscheiden, dass man Kunst macht, dann muss man zum Filmbüro NW gehen, Fördersachen machen, Videoexperimente, ich hab überhaupt nichts dagegen. Aber - wenn man Fernsehmacher ist, muss man sich auch irgendwann mal hinsetzen und sagen, ‚Für wen mach ich das eigentlich?' In der Welt hat sich das schon längst rumgesprochen, dass man keine Serien verkaufen kann, die nicht irgendwie Pralinen am Anfang versprechen. Die einen irgendwie reinziehen, durch Musik, durch den Aufbau der Stories und durch gewaltige Bilder! Wir müssen auch gewaltige Bilder schaffen, wir machen ja kein Radio.

Dokumentarische Formen haben fast nur noch als Einspieler in Magazinsendungen überlebt. Sie selber haben diese Einspieler als "finanziell und künstlerisch nicht mehr akzeptabel" bezeichnet. Wer hat denn das Interesse an den Kinderdoks verloren, die Kinder oder die Programmmacher?

Ich kann nicht genau sagen, ob die Kinder und Jugendlichen den Geschmack daran verloren haben, ich möchte es nicht glauben. Ich glaube, dass zumindest an einem bestimmten Platz innerhalb eines ganzen Tages, spannend gemachte Filme über die Welt und wie dort andere Kinder und Jugendliche leben - es können auch Märchengeschichten sein - eine große Chance haben. Dass das, von wenigen ökologischen Nischen abgesehen, quasi abgeschafft wurde, halte ich für eine Fehlentscheidung. Das sagen auch einige Redakteure unter der Hand, aber nicht öffentlich. Das ist die Entscheidung von Hierarchen, von Leuten, die Magazine mögen und glauben, man müsse noch mehr Animationsserien kaufen. Es ist ja teilweise fast erschreckend, was da Sonntagsmorgens in allen Programmen läuft, fast alles Animationsfilme aus Japan. Was gut ankommt, muß man fairerweise sagen, sind im Studio produzierte Geschichten wie der "Tigerentenclub" oder der "Maus-Club" und derartige Sendungen, wo Spaß gemacht wird und Quiz, wo man Einspieler sieht über die Welt. Das macht Sinn, glaube ich, und hat großen Zulauf. Aber das heißt ja nicht, dass man nicht auch Dokumentarfilme für Kinder machen kann und sollte. Wir haben früher zwei Filme produziert - "Links und rechts vom Äquator". Das wurde auch von Ulrike Müller-Haupt vom WDR betreut und war eine wunderbare Sendung. Man konnte den Alltag eines Kindes woanders sehen, zum Beispiel den eines Waisenkindes in Bolivien. Wunderbare, teilweise herzergreifende Geschichten waren das und ich glaube schon, dass die Kinder und Jugendlichen das auch sehen wollen. Es gibt auch Magazinformen, die dazu übergegangen sind, jetzt doch größere Beiträge zu zeigen, z.B. "Albatros" beim WDR - Schulfernsehen. Das war früher so eine Art "Weltspiegel" für Kinder. Die machen jetzt wieder mehr monothematische Sachen, das find ich gut.

Sie haben es ja auch schon angesprochen, "Fabeltiere" funktioniert für Kinder wie für Erwachsene. Ist das notwendige Bedingung für den Erfolg?

Wenn Sie das so teuer finanzieren wollen, ja. Sonst können Sie National Geographic nicht überzeugen, mitzumachen. Die haben zwar auch einen Kinderspartenkanal, aber der hat lange nicht so viel Geld wie die Programme für Erwachsene. Außerdem bin ich kommerziell ausgerichtet. Das wirft man mir manchmal vor, obwohl ich dadurch auch nicht reich werde. Aber ich werde keine Filme machen, die ganz wenige Leute sehen wollen und wo ich das auch von vorneherein weiß. Ich werde keine Filme machen, die ich nicht verkaufen kann und ich werde keine Filme machen, bei denen ich fünf Jahre brauche, um sie zu finanzieren.

Ist es Ihrer Meinung nach sinnvoll, an der Sparte Kinderdokumentarfilm festzuhalten und wenn ja, was macht einen Dokumentarfilm für Kinder interessant?

Ich bin ja von Hause aus Psychologe, und ich könnte mir vorstellen, dass es bestimmte Grundmuster gibt, die relativ viele Leute gleichzeitig ansprechen, besonders wenn wir über Märchen und Legenden sprechen. Kinderprogramm heißt ja nicht, irgendetwas lächerlich darzustellen, oder infantil. Es heißt auch nicht, dass ich etwas einfach darstellen muss. Vielleicht von der Sprache her. Ich habe festgestellt, dass sich meine Redakteure oft aufgeregt haben, wenn ich in meine Kinderprogramme manchmal Sachen reingebracht habe - da hat mir meine Redakteurin Ulrike Müller-Haupt sehr geholfen - die teilweise sehr hart zu verkraften sind. Etwa bei den Delphinen: Die werden gejagt, getötet und gegessen. Das ist eine sehr harte Sache. Wir haben natürlich nicht die schlimmsten Bilder gezeigt, aber es haben sich immer nur Erwachsene beschwert, nie Kinder. Man muss das nicht gut finden, aber Kinder sind heute, wenn es um die Welt geht, um die Erhaltung der Welt, um Ökologie, viel interessierter, das zu sehen - in aller Härte - als man sich das so vorstellt. Wir machen ja, wenn Sie so wollen, ökologische Programme, indem wir über die Welt berichten und sagen, ‚Es wäre doch schön, dies und jenes Tier zu erhalten.' Wir sagen in den "Fabeltieren" auch, dass Tiere vom Aussterben bedroht sind und fragen, ‚Was wollen wir Menschen dagegen machen?' Märchen als Mittel, das Tier zu lieben und daher zu retten, es ist also en passant ein ökologisches Programm. Ich will nicht darauf hinaus, dass die Kinder heutzutage sowieso mit harten Sachen zu tun haben. Es wäre zu einfach, zu sagen, die gucken ja auch heimlich Blue Movies und Kriminalfilme und machen Horrorgeschichten im Internet. Davon bin ich ein Gegner. Aber was die Welt betrifft und ihre Entwicklung, also geradezu philosophische Fragen, daran sind junge Kinder sehr interessiert. Die wollen die Wahrheit wissen, verdammt noch mal und nicht eingepackt werden.

Sind Sie der Meinung, dass das Angebot qualitativ gutgemachter Dokumentarfilme für Kinder auch eine entsprechende Nachfrage nach sich zieht?

Ja, es ist auch ganz interessant vom stilistischen her. Ulrike Müller-Haupt sagt, dass viele den Irrglauben haben ‚Ich mach' jetzt Kinderprogramm, also müssen da Kinder drin vorkommen.' Stimmt überhaupt nicht.

Aber wollen die Kinder nicht Identifikationsfiguren?

Ja, aber das müssen ja nicht immer Kinder sein. Das kann ja auch ein Opa sein, ein Hund oder ein Baum. Im internationalen Fernsehen fragen die immer als erstes ‚Who is the character?' Und der character braucht kein Mensch zu sein, das muss auch kein Kind sein. Das kann eine Holzkiste sein über die Sie eine Geschichte erzählen.

"Fabeltiere" hatte sehr unterschiedliche Sendeplätze. Nach 13teiligen 30-Minuten-Fassungen werden im Dezember sechs einstündige Fassungen gesendet. Muss heute bei einer erfolgreichen Konzeption die flexible Auswertung des Films mitgedacht werden?

Auf jeden Fall. Wenn es international Sinn macht, werden bei den längeren Programmen, die wir für ARD und ZDF produzieren, automatisch 52er-Fassungen hergestellt. Die sind für den internationalen Vertrieb, für arte in der Regel und dann gibt es die 43'50" fürs deutsche Fernsehen. Es wird auch meist eine englische Sprachaufnahme gemacht. Für "Fabeltiere" wurde dann von Canal+ eine französische Fassung hergestellt, eine spanische, portugiesische, arabische usw. Dann muss man eine gewisse Flexibilität haben - denn die einen Sender haben 12 Minuten Werbung pro Stunden, die anderen 8 - Sie können ja nicht fünfzig verschiedene Versionen schneiden. Also müssen Sie denen erlauben, einige Sekunden rauszunehmen.

Was interessiert Sie besonders am Zusammentreffen mit Fachleuten aus dem Bereich Kinderdokumentarfilm anlässlich des Symposiums im September?

Ich habe ja eigentlich relativ wenig mit Kinderprogrammen zu tun und auch mit Kinderprogrammredakteuren. Es gibt ganz wenige Ansprechpartner, etwas zu finanzieren, das nicht nur das Kinderfernsehen bezahlen kann, sondern andere mitfinanzieren müssen. Ich bin nicht der klassische Kinderprogramm-Macher, obwohl vieles da läuft. Insofern muss ich mich etwas zurückhalten. Doch ich habe den schwachen Eindruck, dass es bei der Hauptfrage ‚Wie ist die Kommunikation zwischen den Programmmachern und dem Publikum?' gewisse Schwächen gibt. Dass Programmmacher möglicherweise so tief verstrickt sind in ihrer Tätigkeit und ihrem Stress, dass sie manchmal gewisse Entwicklungen nicht mitbekommen. Das ist meine Ahnung und das würde ich gerne diskutieren.

Boudewijn Koole is a documentary-filmmaker from the Netherlands who produces mainly films for children and young people. His films won prizes at international film festivals and were successfully broadcasted on TV. Many of his film were done for VPRO (Netherlands Youth TV), which he will represent in the workshop "Documentary Films in Children's programmes of TV channels". He will furthermore present his film "Letters from Belfast" on Sunday, 23 September during the Symposium.

For whom do you produce your films?

Most of the films I made are for children, some for young adults and some for adults.

Do you work in a different way when you address children or adults?

I see only one main difference between making films for adults and children. Children have less experience in life. For the rest I do treat them like an adult audience. For example concerning film-language: I think adults and children are the same. We all live in the same world, use the same language in words and in images. It is important to remember that we do not think about children as one homogenous group. Children differ from each other like adults do. Some children like fast videoclips, others like documentaries. I think most of my films are being watched by adults and children together.

Within the genre of documentaries do you have the impression that some subjects or formal aspects are of special high interest for the children? Are there some films that do not work at all for the children?

I think films are suitable for children when the subject is of their interest. This can be school, plays and music but children are also interested in war, photography, television news, art, the lives of other children in different circumstances etc.

What makes a documentary film a film that is suitable for children? Could you tell us about your criteria?

It is very hard for me to give you this list of qualities for a good children's documentary. I am not a scientist. Some people are able to communicate with children on their level without making themselves small. That is the way I try to make my films. I try to approach children with the same respect as any other individual. I try to find out what is their perspective on issues, and most of the time I find out that it is not all that different from my own. I think children don't want to be approached like babies by adults. I am adult so they don't think it is strange when I behave like one, and they think it is very normal that my film is not childish.

Do you think that it is significant to maintain the genre documentary for children?

I think it is important that children do have the right to see quality films if they want to. Like adults can choose between crap and quality. So quality must be provided.

Could you describe the film/TV-market in NL regarding documentaries for children?

In the Netherlands the VPRO youth television has a history of many years of producing and broadcasting documentaries for children. Till some years ago the VPRO was the only one. The last three years The International Documentary Film Festival Amsterdam (IDFA) and the Dutch Fund for Cultural Broadcasting Productions (Stifo) make great efforts to stimulate the production of children documentaries. So you could say that children documentaries are in the lift. Ten famous Dutch documentary directors were lately invited to produce each a 20 minutes children film and they all agreed.

You realized a script which was developed in a competition for schools. What was it about?

The film I made in the competition was about Tommie, a young boy (11 years) whose father died. Tommie came up with the idea himself and we worked on the scenario together. It was the first children documentary funded by the Stifo. The competition was created by the IDFA and the Stifo. It was great to make the film, like always. More than in other circumstances Tommie had the idea this was his film and I felt like working together with him in a team.

Lizzi Weischenfeldt is a filmdirector from Denmark. Her documentaries LIKE BIRDS IN A CAGE (1994) and WAR IS NOT A CHILDREN'S GAME (1996) were the first parts of her trilogy about children of war. FREE AS A BIRD completes the trilogy about Ivana, a girl that Weischenfeldt met in a refugee camp in Croatia. Weischenfeldt has edited over 100 feature- and documentary films. Periodically she is teaching editing at the National Film School of Denmark.
LIKE BIRDS IN A CAGE will be screened during the Symposium on Saturday, 22nd September at 2.30 p.m. Afterwards the director will take part at the workshop "What do the festivals show?"

How did you get to know Ivana and why did you choose her as your protagonist?

In 1993 when the war was going on in Ex-Yugoslavia I went to see different refugee camps in Croatia and interviewed many children. Among them I found two orphan children Ivana and Dalibor from Bosnia with different fates in a refugee camp in Croatia. Ivana made a strong impression on me. Even though she was only 8 years of age she was very mature and determined to survive and her story touched me deeply. Dalibor was just a little lonesome boy who lived in his own world with nobody to take care of him. Coming back from research I thought of the many tragic lifes of children, but Ivana and Dalibor were the two I couldn't forget. Therefor I decided to follow their stories in the film LIKE BIRDS IN A CAGE.

Did your work change a lot as she was getting older?

After finishing the film I kept in touch with both Ivana and Dalibor. Ivana and her adopted family became very close friends to me. After they got asylum in England I visited them in their new home several times. As Ivana along the way learned English we both found it rewarding and opened up a new world with possibility for all kinds of small talks and made the work between us much easier. As Ivana was getting older she still was the same kind of girl with a strong will to survive. And when in 1999 I talked with her of making a film about her new life in England she agreed without any objection - she only wanted to read the script before shooting and to be the first one who saw the final cut of FREE AS A BIRD. Concerning Dalibor and his sister Daliborka, whom in the meantime was moved to a children's home in another part of Croatia, I followed up their story in 1996 with the film WAR IS NOT FOR CHILDREN.

How long was the shooting altogether? How were the circumstances of the shooting and the pre-production?

For preproduction we spend about 10 days visiting different refugee camps. It's a big country so it took time to go across. I went on research together with my cameraman and we made a lot of videorecording with children in the camps. Before we went back to Denmark I decided which refugee camp I would use in the film and made necessarily agreements with the authorities in the camp in order to come back.
Out of my experience with the research I wrote a script, which were basis for financing the project. In April 1994 we went back to the refugee camp. Before we started working with Ivana and Dalibor; we spent time together getting to know each other. Ivana specially, is not the kind of girl who opens up to everyone she is very controlled. Opposite Dalibor who followed me everywhere from the very first moment. Anyway you can't just come down and say "tell me your story!" You have to get their confidence, and I was very happy they showed me their trust and believed I wouldn't let them down. Of course it was difficult because they didn't speak English but in spite of an interpreter we communicated fantastically.
The actual shooting lasted about 3 weeks in the refugee camp. It was a terrible place to stay, very dirty and with lots of desperation. Children without their parents helping each other, old people whom had lost everything, but also a place with hope and dreams for a better future. The hospitality we met in the camp among the refugees was unbelievable. The family Ivana lived together with invited the whole filmcrew for dinner in their little hut, although they didn't had much them selves. After finishing our work in the camp we went around in the country, making film of the tragedy of war, bombed houses etc. It was not an easy task to travel around; we were stopped several times because of check points and war zones. Further more it was very difficult to drive around as most of the signs were missing and all the time you could hear the noise of the bombing.

Was it difficult for you to keep up the documentary-gaze towards Ivana that you have been knowing for such a long time? How was it for you to keep on working for many years on a very personal level?

It wasn't difficult to keep up the gaze towards Ivana - on the contrary - it was difficult not to. You can't just stop thinking of a girl who has let you into her life. Ivana and her family have been in my thoughts since the very first day I met them. When I made LIKE BIRDS IN A CAGE it was not my intention to make a trilogy, but once you have met destinies like these you can't just forget them and leave them behind.

It seems that one essential aspect of your work was to stay with the camera on the level of the protagonists' eyes to show their perspective. Can you talk about this?

I wanted to tell to children in the more peaceful part of the world, what it means to be a refugee and to help them understand how heavy a luggage some of their foreign friends are carrying. Their childhood is very different from what we regard as "normal" but it has many similarities as well. My intention was to let children tell to children about their sorrows, misery, wishes for the future and for a better world to live in. Showing the consequences of war through the eyes of the children hopefully gives a greater understanding and identification if the children themselves tell their story instead of an adult person.

What were the reactions from the children who watched LIKE BIRDS IN A CAGE?

Reactions from children has been overwhelming - even at age 6 to 7. It can be difficult to keep attention for 45 minutes, but I have met children audience being intensely concerned, and after the screening they have asked so many clever questions and expressed their wishes to help Ivana and Dalibor. Allthough none of the children in the audience has ever been involved with war, they showed a great understanding for the children in the camp, who never got the same possibility for a save childhood as they have had.
The two following films in the trilogy WAR IS NOT FOR CHILDREN and FREE AS A BIRD has made the same interest. From a school class of young children, I received 20 drawings, showing situations from the film with their own comments. I was surprised to learn how much they remembered and their reflections to unreasonableness. LIKE BIRDS IN A CAGE won the 1st Price at a Children's Festival in Copenhagen selected of a children jury, among much more enjoyable films - cartoons etc. As they said LIKE BIRDS IN A CAGE affected them most, and made them understand the sorrow and absurdity of war. They said that everybody should see the film.

Could you outline the main idea of the structure of the documentary series for children in the context of EBU which seems to be one of the very few continuously working structures in the area of non-fictional formats for children?

The main structure of the EBU exchange is, that all participating countries produce one documentary for the yearly exchange. Participating countries are Netherlands, Germany, Ireland, Belgium, Norway, Sweden, Finland, Denmark, Turkey, Greece, Spain, South Africa, Slovenia, Slowakia. All documentaries last exactly 15 minutes and have the same theme. The theme is renewed every year. This year, the theme is: "My life will never be the same". The targeted age group is 10 till 13. EBU and programme experts appoint a new executive producer every year. He is in charge of the content of all contributions. The EBU headquarters in Geneva facilitate the main information to all countries, and handles the actual exchange.

How do you develop a theme for a serial?

The theme is developed each year at the end of the annual meeting by the group of programme experts. Suggestions come from all participants. The experience learns that it is best to choose a theme with some action in it. Successful themes were "I have made my choice" and "The day I decided".

Why do you think does this programme work so well for so many years?

How do you survive in the concurrence to the big field of features and especially comics in the children programme?
I think the programme works for so many years because the results are so different, and every country can just pick the ones they like. Some take the whole series home. Some only take three episodes. Everybody takes the ones they like best.

How and by whom are the films produced and financed?

The films are produced and financed by the participating countries individually. Every country finances its own film supervised by the executive producer.

What exactly is your work in this field?

My work is to coach individual countries in the process of developing topics for films, developing scripts, giving advice on interview techniques or cutting down costs, stay in touch during shooting periods, watch the rough cuts together in each country, advise on the final cut, to make it suitable for the international exchange.

Can you make out any national differences or styles in the films?

There are certain differences in style and genre between different countries. Generally one can say that Southern countries find family values and the family life very important. Northern countries like to portray more eccentric characters. Southern countries tend to dramatize sometimes, where documentary style could be more natural. Northern countries tend to stylize their films strongly.

Within the genre of documentaries do you have the impression that some subjects or formal aspects are of special high interest for the children? Are there some films that do not work at all for the children?

This is a very difficult question, I do not have any information on viewers and audiences in the countries that participate. We get positive reactions from colleagues, but not from the national audiences unfortunately.

Do you believe that if there is an offer of documentaries for children on a high artistic level this might also develop a request in this area or at least a higher interest?

Yes, I think if you offer well made and entertaining documentaries for children, that they will certainly like to see more of them. It is like watching other children, it is a funny thing to do.

What makes a documentary film a film that is suitable for children? Do you have any criteria?

The topic is explained by a child in his own words and the child is shown in his natural situation, so that even when the child is living a complex life, the children can observe this for themselves. I think no subject can ever be too difficult to make a film about. You have to protect your main character though.

Die Kölnerin Petra Seeger arbeitet seit über 20 Jahren als Dokumentarfilmerin. Für ihre letzte Produktion hat sie vier befreundete Mädchen zwischen 11 und 15 Jahren über vier Monate mit der Kamera beobachtet, darunter auch ihre eigene Tochter Nora. Die sechsteilige Doku-Soap Die Schillergang lief in diesem Jahr zwei mal im WDR und war bei Presse und Publikum heftig umstritten.

Die Schillergang war für ein erwachsenes Publikum konzipiert. Doch die Einschaltquoten auf dem klassischen Doku-Soap-Sendeplatz (WDR 22.30 Uhr, Sonntags) waren schlecht. Ist für Sie deshalb dieser Versuch gescheitert, Erwachsenen die Kinderwelt nahe zu bringen?

Es ist nicht nur so, dass ein Film die Einschaltquote festlegt, sondern das Umfeld bestimmt, wer überhaupt diesen Sender schaut. Der WDR will zwar dringend ein junges Publikum gewinnen, wird aber hauptsächlich von älteren Menschen gesehen. Es war anscheinend nicht möglich, dieser Altersgruppe -über 50 Jahre und aufwärts- die Kinderwelt näher zu bringen. Das hat viele Gründe, drückt aber sicherlich auch einen gesellschaftlichen Trend aus: der Generationen-Vertrag funktioniert auch im emotionalen Sinne nicht mehr. Gegenseitiges Interesse von Alten für Junge und umgekehrt hat stark abgenommen. Die Altersgruppen leben isolierter, sind mit sich selbst beschäftigt. Serviceprogramme, die eigenes materielles Interesse bedienen, sind gefragt.
Unsere Vorstellung, dass ältere Menschen sagen: "Toll, hier können wir sehen, wie die heutige Jugend aufwächst", der Abgleich mit eigenen Enkeln und der eigenen Jugend - das hat nur begrenzt funktioniert. Erwachsene, die selbst noch einen Zugang zu ihrer eigenen Kindheit und Jugend haben, haben allerdings oft sehr positiv reagiert. Für sie war der Film Auslöser, von ihrer eigenen Kindheit zu erzählen.
Wenn oft gesagt wird, wir leben in einer kinderfeindlichen Gesellschaft, dann ist das ja nicht nur eine Beschreibung rein äußerlicher Umstände, sondern beschreibt natürlich auch ein Verhältnis der Erwachsenen zu ihrer eigenen Kindheit. Und so kommt es, dass ein erwachsener Journalist als Überschrift über die Kritik des Films schreibt "Kindermund tut Unfug kund!" Das drückt eine Haltung zu Kindern aus - auch zur eigenen Kindheit. Ich habe das bei vielen Erwachsenen bemerkt; sie sprechen über die Kinder im Film, als handele es sich um fremde Wesen. Eine Kritikerin, die den Film sehr lobte, sagte, es sei ein fast ethnografischer Film über ein abgelegenes Tal in Tibet. Daran kann man erkennen, wie weit die eigene Kindheit weggerückt ist.
Ich mache nun seit 22 Jahren Filme und habe niemals eine so heftige Reaktion auf einen Film gehabt. Der Film hat stark polarisiert: glühende Fans und sich ereifernde Ablehnung. Anscheinend hat er ein Tabu berührt. Die Heftigkeit der Ablehnung legt das nahe. Ich glaube, dass der Film sich ganz auf die Kinder einlässt, und das ist etwas, was viele Erwachsene aus ihrer eigenen Kindheit nicht kennen und was für sie dann auch nicht sein darf.

Hat es Sie überrascht, dass die Serie im Gegenzug bei Kindern so eingeschlagen ist?

Ja, das hat mich überrascht und sehr gefreut. Ich dachte, denen erzähle ich ja nichts Neues. Das Interesse konnten wir im Internet ablesen. Zu Spitzenzeiten haben sich dort 19.000 Leute eingeklickt. Das Gros ist zwischen 16 und 20 Jahren. Die Fans haben ihren eigenen Chat gegründet, der bis heute jeden Abend läuft. Dort wurden Lieder und Gedichte auf Die Schillergang gemacht, Geburtstage der Gang gefeiert. Manche übernehmen sozusagen Patenschaft für Die Schillergang und geben gute Tipps für die Pubertät. Die Jungs finden es toll, endlich mal zu sehen, wie Mädchen sind, wenn sie nicht dabei sind. In dem Chat erzählen alle von ihrem eigenen Leben. Der Film war das einigende Moment. Sie spüren, dass der Film die Kinder ernst nimmt, und sie finden ihr eigenes Leben, ihre Gedanken und auch das, was Ihnen vielleicht fehlt, in den vier Mädels wieder.

In der Schillergang kommen Erwachsenen praktisch nicht vor. Ist das eine Erklärung für die Verschiebung der Zielgruppen?

Sie kommen nicht vor, weil die Erwachsenen in diesen Kinderleben -wenn es nach den Kindern ginge- weit weniger vorkämen, als es den Erwachsenen recht wäre. Es ist für sie wichtig, dass die Eltern da sind und einigermaßen "funktionieren", aber ihre Entdeckungen und ihre Welt ist in der Pubertät bestimmt von der Loslösung der Erwachsenen. Ich weiß nicht, ob die Erwachsenen den Film mehr angeschaut hätten, wenn sie präsent gewesen wären. Aber diesen Film hatte ich ja nicht machen wollen.

"Big Mother is watching you" hieß es in einer Kritik. Ist es irritierend für Sie, als erfahrene und erfolgreiche Dokumentarfilmerin jetzt in den Big Brother/Gute Zeiten, Schlechte Zeiten - Kontext zu geraten?

Für mich sagt das eher etwas über die Misere der Fernsehkritik aus. Oft fehlt jeder filmtheoretische Bezug. Big Brother und unsere Soap halte ich eher für Gegenmodelle. Die meisten Kinder und Jugendlichen können, im Gegensatz zu manchem Kritiker, diese Genres sehr gut auseinanderhalten. Viele Fans schrieben in ihren Mails, dass ihnen die Soap so gut gefallen habe, weil sie eben nicht wie Big Brother oder GZ SZ sei. Schillergang habe mit dem Leben zu tun, während die anderen es nur behaupten.
Aber auch im Internet haben wir teilweise eine Verwirrung festgestellt. Z.B. schrieb jemand, Dini solle nicht mehr in der Serie mitspielen und forderte eine Abstimmung der Fans darüber. Das hat mich umgehauen. Das Leben ist sozusagen fehlbesetzt. Den Zusammenhang mit Big Brother habe ich nicht so sehr in der Rezeption festgestellt, sondern- und das halte ich für viel gravierender- beim Drehen. In den ersten Wochen der Dreharbeiten zur Schillergang stellte ich fest, dass die Mädchen sich anfangs sehr veränderten, wenn wir drehten. Sie waren aufgekratzt, redeten am laufenden Band, gebärdeten sich manchmal sehr unnatürlich. Ein Jahr vorher hatte ich schon eine Woche mit den gleichen Mädchen gedreht, und damals war das Verhalten ganz entspannt und natürlich. Alle hatten kurz vor Drehbeginn Big Brother gesehen, und ich stellte fest, dass sie bestimmte Verhaltensweisen kopierten und sie mehr als üblicherweise miteinander rivalisierten. Wir hatten dann ein längeres Gespräch über unseren Film und die Unterschiede zu Big Brother, und als ich Ihnen zum Schluß sagte, dass bei uns keiner gehen muss, hat sich ihr Verhalten entspannt. Es gibt für uns Dokumentarfilmer ein Leben vor und nach Big Brother. Wir müssen die Entstellung, die Big Brother mit der Behauptung, Wirklichkeit abzubilden angerichtet hat, mit in unsere Arbeit und den Umgang mit den Menschen vor der Kamera einbeziehen.

Dokumentarische Formen für Kinder fristen im Fernsehen ein Ghetto-Dasein, es gibt sie fast nur noch als Einspieler in Magazinsendungen. Glauben Sie, dass die Doku-Soap die zeitgemäße Form für qualitativ hochwertige und gleichzeitig erfolgreiche Dok-Formate für Kinder sein kann? Gibt es überhaupt so etwas wie "Dokumentarfilme für Kinder"?

Ja, natürlich gibt es Dokumentarfilme für Kinder. Obwohl ich mich nicht sehr ausführlich damit beschäftigt habe, glaube ich, dass dieser Bereich aber noch sehr unterentwickelt ist. Die Doku-Soap, wie ich sie verstehe, ist gerade für Kinder und Jugendliche ein besonders geeignete dokumentarische Form, weil das unterhaltende, emotionale, erzählerische Moment betont ist. Es gibt viele Lebensbereiche, an denen Kindern interessiert sind, und das Genre Doku-Soap könnte den Kindern Einblicke gewähren, ohne den vielleicht strengen und didaktischen Impetus, der Dok-Filmen des öfteren anhaftet. Ich möchte allerdings betonen, dass ich ein hohes professionelles und handwerkliches Können der RegisseurInnen in diesem Bereich für extrem wichtig halte. Nicht jeder, der Dokumentarfilme gemacht hat, ist prädestiniert dazu, Doku-Soaps zu machen. Manchmal denke ich, dass eher Fähigkeiten aus dem fiktionalen Bereich gefragt sind. Das gleiche gilt für Kamera und Schnitt.
Was Die Schillergang betrifft, haben wir im Internet deutlich bemerkt, dass die Kinder und Jugendlichen extrem positiv auf die Serie reagiert haben, und sich darin auch die Abneigung gegen die gängigen fiktionalen Formen ausdrückte. Um so mehr hat mich die Entscheidung des Kinderkanals verblüfft, Die Schillergang dort nicht -wie ursprünglich geplant- im Herbst auszustrahlen.