
Hartmut Bitomsky – Nachruf auf einen Kritiker
„In einem Bild wird stets mehr sichtbar sein, als das Auge fassen kann, das Bild trachtet, den Blicken zu entschwinden. Das Kino hat das Flüchtige zu seiner Kunst gemacht, es dematerialisiert die Bilder. Sie tauchen auf wie Sternschnuppen im nächtlichen Weltall. Man hätte einen Wunsch frei. Bevor er gedacht wird, ist das Licht am Verlöschen. Darum ist das Verlangen nach Bildern unstillbar: wir sind Ikonoklasten und möchten zerstören, wonach uns verlangt. Es verlangt uns nach einer anderen Welt.“
Hartmut Bitomsky: „Das Kino und der Tod“, in: Hartmut Bitomsky. Kinowahrheit
Hartmut Bitomskys Arbeiten als Filmemacher, -kritiker, -vermittler und -lehrer sind Lehrstücke und poetische Recherchen zugleich. In ihnen verbinden sich Theorie und Praxis untrennbar zu einer unverwechselbaren Stimme, die das Kino als Ort der Analyse und des Widerstands versteht. Nie nur beobachtend, sondern scharfsinnig befragend, bringt er seine stummen Akteur:innen – Fabriken, Straßen, Flugzeuge – selbst zum Sprechen, lässt die Dinge mehr über Macht, Arbeit und Geschichte verraten als jedes Interview. Als prägende Figur der Filmkritik und als Lehrer an der dffb inspirierte er Generationen – von Harun Farocki bis Christian Petzold. Bis zuletzt blieb er unermüdlicher Sucher, der das Dokumentarische als „brauchbaren Begriff“ verteidigte. Sein Vermächtnis ist die unerschrockene Überzeugung, dass Film nicht nur zeigen, sondern denken muss – und dass Kritik immer auch eine Form der Schöpfung ist. Mit Hartmut Bitomskys Tod am 24. September 2025 ist dem Kino und der Welt einer der innovativsten Kritiker abhanden gekommen.
Band 8 der dfi-Reihe Texte zum Dokumentarfilm versammelt zahlreiche Aufsätze, die Bitomsky für die Zeitschrift Filmkritik geschrieben hat, sowie Texte zu eigenen Filmen und zu Arbeiten, die während seiner Lehrtätigkeit an der CalArts in Los Angeles entstanden sind.
Foto: kaethe17