Interviews

Das dokumentarische Porträt

Im Vorfeld des Symposiums führte Stefanie Görtz Interviews mit den eingeladenen Filmemacher_innen und Redakteur_innen. Diese Interviews wurden bis zum Symposium sukzessive hier veröffentlicht.
Hier kommen Sie direkt zu den Interviews mit:

Marc Bauder
Corinna Belz
Anna Hepp
Andrea Roggon
Birgit Schulz
Petra Seeger
Kerstin Stutterheim
Andres Veiel

„Die bloße Biographie wird im Porträt zu einer sinnhaften Geschichte kondensiert."
Einige Fragen an Fosco Dubini, Regisseur („Thomas Pynchon – A journey into the mind of [p.]“, „Hedy Lamarr - Secrets of a Hollywood Star“)

Hedy Lamarr k

Worin besteht für Sie die Faszination des dokumentarischen Porträts? Weshalb haben Sie diese Form so oft für Ihre Filme gewählt?

Wir haben uns für Persönlichkeiten interessiert, die im Mittelpunkt einer zeitgeschichtlich wichtigen Fragestellung verortet werden können. Die Bedeutung einer Person und das Geheimnis ihrer gesellschaftlichen Wirkung ergibt sich nicht allein aus den Stationen einer Biographie, sondern aus der Radikalität der Handlungsoptionen in einem krisenhaften Umfeld. Unsere Filme versuchen, dieses Zusammentreffen von individuellen Persönlichkeitsmerkmalen und Entscheidungsmaximen in einer als katastrophisch wahrgenommenen Konstellation zu pointieren, die sich aus dem Zusammenspiel von Politik, Wissenschaft und Medien ergibt.
 
Ihre filmischen Porträts waren immer Kinofilme, was lässt sich Ihrer Meinung nach über den Zusammenhang von Kino und Porträt und der Faszination des Publikums für Porträts sagen?

Das Porträt ist seit der Antike die vorrangige Form der medialen Vermittlung von auratischer Bedeutung. Dabei weist das Porträt auch immer über die singuläre Person hinaus auf etwas Überindividuelles und ist insofern Teil einer großen allgemeinen Erzählung, in der das Publikum sich erkennt. Die biographische Annäherung an eine Person im Film schöpft deren Geheimnis nicht aus, im Gegenteil. Das filmische Porträt setzt wie alle Bildmedien auf die Aussagekraft des Gesichts der porträtierten Figur. Das Porträt zehrt insofern auch von dem ikonischen Wert des übergroß auf der Leinwand dargestellten menschlichen Gesichts im Spielfilm, das gleichzeitig das Innenleben einer Figur enthüllt und verbirgt.
 
Wie hat sich in Ihren frühen Arbeiten wie „Das Verschwinden des Ettore Majorana“ oder „Klaus Fuchs“ bis zu den Filmen über Hedy Lamarr oder Thomas Pynchon Ihr Umgang mit der Porträtform verändert? Was wird heute von einem Porträt erwartet? Wie war das in den 80er Jahren?

Heute wird von einem Porträt sehr viel mehr Materialfülle an Fotos, Videos, Filmausschnitten und öffentlichen Äußerungen erwartet. Dies hängt mit der Multiplizierung und dem ständige Austausch von digitalem Bildmaterial im Netz zusammen. Im Film über den Physiker Ettore Majorana, der in den 30er Jahren spielt, hatten wir höchstens zehn Fotos und keinerlei Filmmaterial zur Verfügung. Der Titel "Das Verschwinden des Ettore Majorana" ist insofern auch symptomatisch für die Abwesenheit von Bildpräsenz der porträtierten Person im Film.
Auch die Verwendung dieses Materials hat sich geändert. Der Zweck der Porträts besteht nicht mehr im bruchlosen und logischen Nachvollzug einer Lebensleistung oder eines Werks, der kongruent bebildert wird. Vielmehr werden die kritischen Stellen eines Lebenslaufs, die blinden Flecke einer Person und das Scheitern ihrer Ambitionen zum Angelpunkt der Empathie des Publikums, was der Idealisierung der Figur nicht schadet, sondern ihr im Gegenteil zuarbeitet. Dies gilt insbesondere für die filmischen Porträts der tragischen Frauenfiguren, z. B. Schauspielerinnen und Künstlerinnen, die als ‚weibliche Opfer’ eine lange mediale Tradition fortführen.
 
Weshalb bevorzugen Sie Porträts von verstorbenen Personen oder im Falle von Pynchon von Personen die sich bewusst jeder Form der Öffentlichkeit entziehen?

Erst wenn die reale Person verschwindet bzw. stirbt, gewinnt sie den Freiraum einer nachträglichen Bedeutungsstiftung und idealen Überhöhung der persona (wörtlich: durch die etwas hindurchtönt.)
Ein Autor wie Thomas Pynchon, der sich Fotos, Filmaufnahmen und Interviews verweigert, nutzt diesen Effekt bereits zu Lebzeiten. Die Abwesenheit der lebenden Person hat also einen Vorteil. Sie erlaubt das Ausblenden von Zufälligem und Nebensächlichem und damit die Selektion eines Bedeutungsstrangs, die nicht selbst von der porträtierten Person vorgegeben ist.
 
Gibt es einen Unterschied zwischen Porträt und Biographie? Oft gibt es biographische Teile innerhalb eines Porträts? Was bevorzugen Sie und warum?

Eine Biographie ist, wie das Wort schon sagt, die schriftliche Fixierung eines Lebensablaufs mit möglichst allen äußeren Stationen und Details. Insofern hat jeder Mensch eine (mindestens bürokratisch rudimentär erfassbare) Biographie. Das Porträt nimmt allerdings eine Auswahl aus diesem Material vor, indem es nur die Momente unterstreicht, die eine bedeutungsvolle Interaktion zwischen der Einzelperson und ihrer Umwelt, auch im Sinn eines exemplarischen Konflikts, nachvollziehen und auf diese Weise die "Innenwelt" einer Figur öffnen. Diese Innenwelt ist natürlich immer auch ein fiktionales Element im filmischen Porträt, das hypothetisch aufgeladen wird und damit einem dramaturgischen Erzählstrang folgt. Die bloße Biographie wird also im Porträt zu einer sinnhaften Geschichte kondensiert.

„Der Moment ist das einzige, was wirklich lebendig ist. Erinnerungszeichnen durch Mittel der Kunst konserviert diese Lebendigkeit.“
Einige Fragen an die Regisseurin und Fotografin Anna Hepp („Ich möchte lieber nicht“)

Ich moechte lieber nicht2 k

Worin besteht für Sie die Faszination des dokumentarischen Porträts?

Für mich gibt es eine Faszination für das künstlerische Porträt. Und die besteht darin:
- eine ästhetische Wirkung erzielen; 
- mit Ton/Sprache ein Gefühl erzeugen;
- Beziehung zwischen Abbildendem und Abgebildetem entstehen lassen, weiterführend auch zum Zuschauer Beziehung zu schaffen:
- die Regulation von Nähe und Distanz durch die Instrumente Kamera, Ton und Montage;
- die Möglichkeit sich durch Lebenserfahrung der Protagonisten zu bereichern, sprich Erkenntnisgewinn;
- gezielte Erinnerungen schaffen.)


Sie haben oft die Form des Porträts gewählt. Als filmisches Einzelporträt haben Sie das ihrer Großmutter und das von Hilmar Hoffmann angefertigt. Dabei haben Sie eine Form gewählt, die von der Fotografie geprägt ist. Was kann mit langen Einstellungen, kein kommentierender Voice-Over, sondern durch die Beobachtung mit der Kamera und einem oft getrennt aufgenommenen Originalton von einem Menschen erfasst werden?

Atmosphäre wird freigesetzt und nicht durch zu viel Überlagerung erstickt;
ein Gefühl für Person und Situation entsteht (Gefühl vs. Kopf);
keine Ablenkung vom Wesentlichen, Reduktion, pur sein; 
Bild und Tonebene stehen auf Augenhöhe und sollen gleichermaßen bedient werden;
 der Zuschauer darf sich konzentrieren und sich dem Bild genauso annehmen wie dem Ton; so besteht die Hoffnung, dass man die Aura des Porträtierten spürt.



Über das Porträt einer einzelnen Person hinaus interessieren Sie sich vor allem für den alten Menschen in seiner nächsten Umgebung? Auch ihr letzter Film von 2015 trägt den Titel „To the Old People of Porto Alegre“. Was fasziniert Sie daran, diese Lebensphase filmisch zu erschließen?

"Was könnte denn dümmer sein, als Ungewisses für gewiß und Falsches für wahr zu halten? Ein alter Mensch ist insofern in einer besseren Lage als ein junger Mensch, als er das schon erreicht hat, was jener nur erhofft. Jener will lange leben, dieser hat schon lange gelebt. Die Stunden und Tage, die Monate und Jahre verrinnen, und weder kommt jemals die vergangene Zeit zurück, noch kann man wissen, was folgt. Man muß jeweils mit dem zufrieden sein, was einem an Zeit zum Leben vergönnt ist." De senectute/ Über das Alter, Cicero
. Der Moment ist das einzige, was wirklich lebendig ist. Erinnerungszeichnen durch Mittel der Kunst konserviert diese Lebendigkeit.



Kommt es auch von der Fotografie, dass Ihre Filme eher den Momenten einer Begegnung gewidmet sind und weniger der Vorgabe folgen, eine vollständige Biografie zu liefern?

Die Fotografie ist ein Mittel aber keine Absicht... Filmbilder sind nun mal bewegte Einzelbilder. Deshalb sind meine Filme Fotografien und Ton durch Montage in einen Rhythmus gebracht. Und trotzdem können sie über den Moment hinaus etwas erzählen.
 Porträt ist für mich nicht Biografie. Biografien sind nicht mein Begehren. Schon gar nicht nach Vorgaben. Ich muss nicht liefern. Meine Filmarbeit ist bisher absolut freier Natur! 









„Ein guter Porträtfilm ermöglicht einen Blick auf den Menschen hinter dem Image.“
Einige Fragen an Andrea Roggon, Regisseurin („Mülheim Texas – Helge Schneider hier und dort“)

muelheimtexas k

Worin besteht für Sie die Faszination des dokumentarischen Porträts?

Sehr stark treibt mich die Frage danach, wie man als Filmemacher einer Persönlichkeit in einem Porträt gerecht werden kann. Was ist das eigentlich für eine Aufgabe „ein Bild von einem anderen Menschen zu zeichnen"?
Wenn ich selbst als Zuschauerin ein Porträtfilm anschaue, dann ist es das Schönste, wenn ich wirklich beeindruckt werde von diesem Menschen, so dass es als Inspiration auf mein eigenes Leben wirkt.

Ihr Film über Helge Schneider „wahrt die Geheimnisse des Protagonisten vor der Kamera“. Dieser Claim scheint zwangsläufig, denn Helge Schneider, der Medienprofi und Anarchist, nutzt das Projekt für seine Zwecke und entlarvt dabei mediale Mechanismen, auch die eines Filmporträts.
Wie würden Sie den Umgang und Ihre Annäherung an diesen Typus von Protagonisten und Künstler beschreiben? Waren Sie am Anfang überrascht?

Nein, zunächst gar nicht. Schon im Exposé bestand mein filmischer Ansatz darin „ihm seine Geheimnisse nicht zu entreißen“. Während es natürlich trotzdem darum geht, dass der Zuschauer ein Gefühl für Helge Schneider als Mensch entwickeln kann. Also, ihm im Film nahe zu kommen, ohne dabei den Zauber der in seinem künstlerischen Werk erlebbar ist, zu zerstören. Meine Idee bestand unter anderem darin, seiner Fantasie einen großen Raum zu geben, anstatt Biographisches, Daten und Fakten wiederzugeben. Innerhalb der von ihm „erschaffenen Welt“ wird für mich seine Haltung sichtbar: Hier dürfen auch unwahre Geschichten zum besten gegeben werden, die dann aber wiederum einen Blick auf seine Wünsche und Träume ermöglichen können.
Überrascht war ich erst, als ich merkte, dass auch das schwierig wurde. Für Helge Schneider wird in meinem Film schon viel zu viel über ihn verraten! Dazu finde ich folgenden Satz von Peter Handke weiterführend: „Von dem was die anderen nicht von mir wissen, lebe ich".

Wie bewahrt man in der Arbeit mit prominenten und medienerfahrenen Protagonisten die künstlerische Unabhängigkeit als Filmemacherin?

Letztendlich durch ganz grundlegende Absprachen. Ausschlaggebend kann aber auch schon das Konstrukt der Produktion selbst sein: Wer hatte die Idee, wer erteilt den Auftrag, wer finanziert mit... Es ist aus meiner Sicht schwierig, wenn z.B. der Manager oder der Künstler selbst den Film in Auftrag gibt, was tatsächlich immer wieder vorkommt.
Entscheidend ist letztendlich aber das Verständnis darüber, wer den "final cut" hat. Am Ende ist es eine Gratwanderung, bei der der Filmemacher, so er den "final cut" hat, eine große Verantwortung trägt, da er ja eben an dem Bild des Prominenten zeichnet. Für mich war es, was die Gestaltung des Films betrifft wichtig, diese Klarheit zu haben.

Was kann ein Porträt als filmische Form heute noch leisten? Was kann es im Umgang mit prominenten und öffentlich durchleuchteten Protagonisten noch zeigen?

Vorweg: Alles, was einmal aufgezeichnet ist und ins Internet gelangt, kann in den meisten Fällen nicht mehr zurückgenommen werden (auch wenn es per Gerichtsbeschluss nicht mehr gezeigt werden darf). „Das Netz vergisst nichts“ und ist für Jedermann permanent zugänglich... So kann jegliche filmische Aufzeichnung für den Protagonisten geradezu „bedrohliche“ Auswirkungen haben. Dadurch hat sich vor allem bei prominenten Persönlichkeiten und deren Managern und Beratern eine gesteigerte Empfindlichkeit im Umgang mit Bildern und Interviews entwickelt, die das dokumentarische Arbeiten sehr erschwert.
Andererseits, wer in Medien und im Internet nicht erscheint, existiert nicht. Es ist also wichtig, dort in „vorteilhafter“, „für die Ewigkeit“ bestimmter Weise aufzutauchen.
Zurück zur Frage. Es ist ja eine Illusion, wenn wir meinen, durch die permanenten, vom Boulevardjournalismus aufbereiteten „News“ aus dem Privatleben aller möglichen Prominenten auf deren Persönlichkeit schließen zu können. Genau das ist es aber, was durch ein Porträt gelingen kann. Ein guter Porträtfilm ermöglicht einen Blick auf den Menschen hinter dem Image - was durch die alltägliche „öffentliche Durchleuchtung“ eben nicht erreicht wird.

„Man muss die Menschen ganz gezielt aus ihren vertrauten Lebensgeschichten rausreißen, man muss sie provozieren, damit sie aufwachen, und sich nicht selber mit ihren eigenen Geschichten langweilen.“
Einige Fragen an Birgit Schulz, Regisseurin („Die Anwälte – eine deutsche Geschichte“, u.a.)

DieAnwaelte k

Worin besteht für Sie die Faszination des dokumentarischen Porträts, das Sie es immer wieder als filmische Form Ihrer Arbeiten wählen?

Ich liebe es, mich einem Thema psychologisch zu nähern, das versuche ich eigentlich immer. Natürlich geht das bei jeder Art von filmischem Porträt besonders gut. Über die psychologische Herangehensweise kann man weit in die Tiefe eines Lebens, aber auch seiner gesellschaftspolitischen Umstände gelangen.

„Die Anwälte“ aber auch Ihre früheren Arbeiten sind Soziogramme, Milieustudien, die einen Durchblick auf politische Verhältnisse zulassen – war der Ausgangspunkt eines Porträts für diese Absicht hilfreich?

Ja sehr. Die Anwälte sind ein gutes Beispiel dafür. Es ist letztendlich die Geschichte einer Freundschaft, die aber nur in einer besonderen historischen Phase möglich war. Danach ist sie zerbrochen. Über die persönliche Herangehensweise war es mir möglich, alle drei Hauptfiguren zunächst ihrer allseits bekannten gesellschaftspolitischen Rolle zu entreißen, was ja letztendlich zu einer ganz anderen Nähe zu ihnen geführt hat.

Wie war in „Die Anwälte“ der Umgang mit Ihren Protagonisten – Ströbele, Mahler, Schily – die offensichtlich auch eine eigene Agenda mit dem Filmprojekt verfolgten?

Schily hat noch am wenigsten eigene Ziele mit dem Filmprojekt verfolgt, Ströbele ein bisschen, Mahler hat es natürlich in voller Gänze versucht. Ich habe versucht,  allen dreien völlig vorurteilsfrei zu begegnen – auch Mahler - und das auf Augenhöhe. Immerhin hat es zwei Jahre gedauert, bevor ich alle drei überzeugen konnte. Aber mir ist total klar, dass mir das nicht gelungen wäre, hätte ich mich auch nur einem von Ihnen untergeordnet. Allen dreien musste ich Respekt abverlangen. Dann ging es irgendwann. Nichts desto trotz möchte ich nicht verleugnen, dass die Drehpausen mit Mahler sehr anstrengend waren, weil mir absolut kein Smalltalk möglich war und weil sich kein Teammitglied mit ihm gemein machen wollte, was ja auch richtig war.

Sie haben viele TV-Porträts über Prominente gemacht (Hildegard Knef, Alice Schwarzer, Werner Schroeter). Wie entgeht man in der Arbeit mit so prominenten und medienerfahrenen ProtagonistInnen der Gefahr eine Art Marketingfilm herzustellen?

Man muss diese Menschen ganz gezielt aus ihren vertrauten Lebensgeschichten rausreißen, man muss sie provozieren, damit sie aufwachen, und sich nicht selber mit ihren eigenen Geschichten langweilen, sondern Lust haben, auch mal was ganz anderes zu erzählen. Bei Hildegard Knef habe ich bewusst mit dem Thema angefangen, von dem ich wusste, dass es sie bis heute ärgert: Ihr Nacktrolle, in „Die Sünderin“ – danach war ja im prüden Deutschland die Hölle los. Da ist Hildegard Knef ausgerastet und alles war gut...

Was kann ein Porträt als filmische Form heute leisten? Was kann es im Umgang mit prominenten und öffentlich durchleuchteten Protagonisten noch zeigen?

Sagen wir mal so: Es wird immer schwieriger, weil die Promis heute meistens echte Medienprofis sind. Das finde ich eigentlich langweilig. Deshalb interessieren mich auch  mehr und mehr die ganz normalen Menschen mit ihren tollen Geschichten.
Einen Film über Angela Merkel würde ich allerdings gern noch machen, aber ganz ohne Interview, rein aus der Beobachtung heraus....

„Man kann als Filmemacher seine thematische Stoßrichtung nicht verschleiern.“
Einige Fragen an Marc Bauder, Regisseur („Master of the Universe“, „Jeder schweigt von etwas anderem“)

Master of the Universe3 k

Was kann Ihrer Meinung nach das Porträt als filmische Form leisten?

Für mich ist es wie eine Brille, durch die ich in bestimmte gesellschaftliche Formen oder Fragestellungen eintauchen kann. Es ist ein möglicher Ausgangspunkt, um zu untersuchen, wie sich Menschen in bestimmten Situationen verhalten. Aber ich glaube, ich lasse mich da vielleicht nicht so gut in die Rubrik „Porträt“ kategorisieren, wenn man darunter das klassische Porträt einer Person oder Gruppe versteht, ich würde bei meiner Arbeit eher von Soziogrammen sprechen, die gesellschaftsübergreifende Fragestellungen verhandeln.

„Master of the Universe“ aber auch Ihre früheren Arbeiten sind wie sie sagen Soziogramme, Milieustudien, lassen einen Durchblick auf politische Verhältnisse zu - inwiefern war der Ausgangspunkt des Porträts hilfreich dafür?

Das Porträt fungiert für mich als ein Vehikel, um vom Einzelnen Rückschlüsse auf übergeordnete Themen zu gewinnen. Ich erfahre in meinen Filmen ja auch überhaupt nicht alles von der Person. Aber die emotionale Tiefe des Ausschnitts, den ich zeige, hilft mir wie gesagt bestimmte universelle Fragestellungen näher zu beleuchten. Meinem Film „Der Top-Manager“ lag zum Beispiel die Frage nach dem Auseinanderdriften von Familie und Karriere in unserer Gesellschaft zugrunde. Oder gerade arbeite ich an einem Dokumentarfilm über Thomas Middelhoff. Er interessiert mich als Prototyp einer neuen Managerkaste und ermöglicht es zugleich, mich mit 25 Jahren deutscher Wirtschaftsgeschichte auseinander zusetzen, was wiederum Rückschlüsse auf unsere ganz aktuellen gesellschaftlichen Fragestellung ermöglicht.

Wie war der Umgang mit Ihrem Protagonisten, dem Investmentbanker Rainer Voss, der offensichtlich auch eine eigene Agenda mit dem Filmprojekt verfolgte?

Wir hatten auf jeden Fall die gleiche Fragestellung, haben das Hauptthema geteilt. Fragen nach Familie und der Verformung des Individuums in der Gruppe waren für ihn und mich zentral, auch wenn wir teilweise zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Man kann als Filmemacher seine thematische Stoßrichtung nicht verschleiern. Er wusste, wer ich bin, kannte einige meiner Filme. Dann ist der Dreh letztlich die Fortführung einer Annäherung, die schon weit vorher begonnen hat.

Wie finden Sie einen Weg, den Protagonisten zu respektieren und zu schützen und ihm gleichzeitig als Repräsentanten eines Milieus, einer Schicht, einer Denkweise unabhängig und kritisch zu begegnen?

Die Menschen sind ja nicht schwarz/weiß. Wir bedienen oft zu schnell bestimmte Bilder. Ich möchte, dass sich jeder sein eigenes Bild macht. Denn ein Charakter ist ja sehr vielschichtig und so geworden, weil zum Beispiel bestimmte Kontexte Anlagen verstärkt haben; in anderem Kontext hätte sich der Charakter auch ganz anders entwickeln können.  Also muss ich meinen Protagonisten mit Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit begegnen, das ermöglicht dann, viele Facetten von der Person zu zeigen. Ich muss die Protagonisten absolut ernst nehmen, auch wenn ich ihre Ansichten und daraus folgende Konsequenzen nicht teile.

Auch in Ihrem Spielfilm „Das System“ ging es um die Finanzwelt, aber in fiktionaler Form, warum haben Sie hier die Fiktion ausprobiert? Was war mit dieser Form möglich?

Meine filmische Arbeit beginnt immer mit einer Fragestellung, dann folgt die Recherche und dann sucht man die geeignete Form, also Dokumentarfilm, Spielfilm oder auch mal Theater. Manchmal kann man die Essenz einer Fragestellung besser durch eine gewisse Fiktionalisierung des Themas erreichen. Im Fall von „Das System“ hätte das dokumentarische Porträt des ehemaligen Stasi-Agenten Matthias Warnig, heute Geschäftsführer der deutsch-russischen Gas-Pipeline Norstream (auf dessen Geschichte der Spielfilm basiert), zu einer Reduktion geführt. Die Ausgangsfrage war ja, wie verhalten sich Menschen nach dem Zusammenbruch eines Systems? Und es gibt in anderen Systemen ganz ähnliche Menschen wie Warnig. Die Fiktionalisierung hat uns dabei zum einen mehr Freiheiten in der erzählerischen Form gegeben und uns gleichzeitig ermöglicht, auch das Universelle des Themas herauszuarbeiten. Dies ist letztlich dann auch aufgegangen ist, denn im Westen haben sich viele 68er mit den Themen des Films identifizieren können.

„Machen’s doch a Fuim übr’n Schwarzenegger, den kennt a Mensch!“
Einige Fragen an Petra Seeger, Regisseurin („Auf der Suche nach dem Gedächtnis“, u.a.)

Gedaechtnis k

Worin besteht für Sie die Faszination des dokumentarischen Porträts?

Für mich sind die folgenden Aspekte zentral: Beziehung aufnehmen; Einfühlung; das Erschließen neuer Welten. Die Tätigkeit, die Individualität, das „So geworden sein“ des Anderen, seine Biografie zu erkunden, die Verbindungen aufzuspüren; das Erlebte, durch die Dreharbeiten zeitweilig auch gemeinsam erlebte, in eine entsprechende künstlerische Form zubringen. Meine subjektive Sicht. Bildhauerei. Die dem Material innewohnende Form entstehen lassen.
Es geht um das Leben des Anderen, ist aber mein Film. Sein Leben im Spiegel meines Films, meines Lebens. Das ist immer wieder eine Gratwanderung.

„Auf der Suche nach dem Gedächtnis“ zeichnet das Leben von Eric Kandel, einem der berühmtesten Hirnforscher unserer Zeit, nach. Damit hat der Film ein Thema von internationaler Relevanz und war international ein großer Erfolg. Hat die übernationale Thematik eine bestimmte Herangehensweise gefordert?

Die Aufgabe bestand darin, den jeweiligen Förderern und Fernsehanstalten die ‚internationale Relevanz’  des Themas zu vermitteln. Es bedurfte sieben unterschiedlicher Geldquellen um den Film zu finanzieren. Die letzten 40.000 Dollar zur Fertigstellung mussten wir mühsam aus den USA besorgen. Versehen mit bestimmten Auflagen: Z.B. keinen nackten Busen zu zeigen.
Viele deutschen Verleiher scheuten sich, fast ein Jahr lang, den Film herauszubringen weil der Kandel, als Österreicher, nur für Österreich interessant sei. Die Österreicher scheuten sich anfangs den Film `rauszubringen, weil er kein Geld einspielen würde. Die Amerikaner wollten ihn nicht `rausbringen, weil Hirnforschung nicht zieht....
Selbst vom ORF bekam ich zunächst eine Absage mit folgendem Ausruf: „Den Kaaandel kennt ja ka Mensch net !!! Machens doch a Fuim übr'n Schwarzenegger, den kennt a Mensch! Da krieg mer a Quote!“
Insofern konnten wir finanziell ‚unbeschwert’ ( mit einem low-low budget ) der internationalen Relevanz des Themas mit einem der berühmtesten Hirnforscher unserer Zeit nachgehen.  

Wie geht man mit einem Protagonisten um, der seine Zeit, ein Stück seines Lebens und Einblick in seine Arbeit für diese Filmarbeit gibt, aber gleichzeitig – anders als bei Ihren Werken über die Filmemacher Wenders, Schlingensief oder Thome – den filmischen Prozess nicht kennt, aber bestimmte Erwartungen an einen Film hat?

Die Beantwortung dieser Frage könnte ich mit meiner umfangreichen Stoffsammlung für eine Komödie über die Entstehung des Films beantworten. Wobei wir wissen, dass Verzweiflung ein Grundelement für die Entstehung des  komödiantischen Blicks ist. - Hinterher!
Allein die gegenseitige Sympathie, das Vertrauen und der unbedingte Wille - auf beiden Seiten - zu einem guten Ergebnis zu kommen, haben dazu geführt, dass wir diese Kluft überbrücken konnten.

„Ein zentraler Aspekt des dokumentarischen Porträts besteht darin, zwischen privat und persönlich zu unterscheiden.“
Einige Fragen an Kerstin Stutterheim, Regisseurin („Fliegen und Engel. Ilya & Emilia Kabakov und die Kunst der ‚totalen’ Installation“)

Fliegen und Engel k

Worin besteht für Sie die Faszination des dokumentarischen Porträts?

Vermutlich besteht diese für Publikum wie für Autor_in/Regisseur_in darin, fremde oder neue Menschen kennen zu lernen, zu denen man sonst kaum in einen so intensiven Kontakt treten könnte.
Für mich besteht die Faszination am dokumentarischen Porträt zudem darin, dass es sich um Personen handelt, deren Leben schicksalhaft, beispielhaft verdichtet, auch Mut machend und oft Staunen lassend verlaufen ist. Zumeist stehen deren Biographien exemplarisch für viele Andere, denen ähnliches, vielleicht in Varianten oder abgestufter Form geschehen ist. Im dramaturgischen Sinne Menschen, deren Leben sozusagen verdichtet verlaufen ist oder gerade verläuft.

Welches sind Ihrem Verständnis nach die wesentlichen dramaturgischen Parameter einer künstlerischen Filmporträts?

Aus meiner Sicht besteht eines der wichtigsten Parameter darin, einen dokumentarischen Film wie jedes andere Werk dramaturgisch vorzustrukturieren. Also ein Konzept zu haben, sich über die eigene Intention im Klaren zu sein, um bei den Überraschungen und Unwägbarkeiten, die das dokumentarische Arbeiten mit sich bringt, flexibel im Sinn der geplanten Geschichte reagieren zu können und sich dabei nicht zu verlaufen. Da dokumentarische Filme, wenn sie nicht gerade re-enacted sind, auf das Geschehen reagieren oder Teil dessen sind, kann man sich an den Modellen der offenen Form orientieren und hat dadurch größere gestalterische Spielräume. Aber ein dramaturgisches Konzept gibt meiner Erfahrung nach eine Sicherheit während der Dreharbeiten.
Ein weiterer zentraler Aspekt besonders für ein dokumentarisches Porträt besteht für mich darin, zwischen privat und persönlich zu unterscheiden und einen entsprechenden Zugang zu entwickeln. Es gilt, ein der Person und gleichermaßen meiner Intention entsprechendes Konzept für ein filmisches Porträt zu entwickeln, das mich/uns in die Lage versetzt, das Projekt realisieren zu können. Mir geht es darum, genau die Momente, die das Besondere der Biographie oder der Person, für die ich mich interessiere, ausmachen, prozesshaft zu den Lebensumständen in Beziehung zu setzen und dies möglichst in einem dramaturgisch ausgewogenen Rhythmus zu tun.

Wie würden Sie ihre Annäherung an die Künstler Ilya und Emilia Kabakov beschreiben?

Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Die Annäherung hier lief vor allem über die Professionalität. Für die Zustimmung der Kabakovs zu dem Projekt war es wichtig, dass wir überzeugend vermitteln konnten, dass wir wissen, was wir tun und die Kunst Kabakovs verstehen, und dass wir in unserer filmischen Arbeit dieser gerecht werden, sie adäquat umsetzen können und würden. Es gab ein freundschaftlich professionelles Miteinander, eine sehr großzügige Unterstützung und sonst alles das, was eine Filmproduktion begleitet. Wir stehen nach wie vor in Kontakt.

Welchen Stellenwert hatte, welche Rolle spielte die Kamera in Ihrer Arbeit mit den Kabakovs?

Aus dem gerade geschilderten Umstand, dass ein zentrales Anliegen darin bestand, die Kunst ästhetisch adäquat umzusetzen, wird deutlich, dass die Kameraarbeit eine große Rolle spielt. Niels Bolbrinker hat in seiner Arbeit insbesondere die häufig extrem schwierigen Lichtverhältnisse in ein filmisches Bild transferiert, ohne die Stimmung zu verändern und gleichzeitig das jeweilige Werk zur Wirkung zu bringen. In anderen Arbeiten waren wiederum die Platzverhältnisse extrem, was die Kameraarbeit auf andere Art erschwerte.

Kabakov verkörpert einen Künstlertypus, der sehr von seiner Sozialisation, von der Gesellschaft, in der er lebte, geprägt ist – was bedeutete das für ihr Filmporträt „Fliegen und Engel“?

Kabakov als zentraler Künstler der Konzeptart und der Postmoderne, spielt in seinen Installationen mit der Neugierde des Publikums für das Private. Dabei wird er selber nie privat. Er schöpft aus persönlichen Erlebnissen, aus Erfahrungen, die er machte oder auch nur beobachtet hat. Das ist das Spiel, das er mit dem Publikum spielt, wenn er die Grenze zwischen der realen Biographie und fiktiven Erweiterungen fließend gestaltet. Manche der Arbeiten erwecken den Anschein des Faktisch-Realen, man weiß aber eigentlich nicht genau, ob diese tatsächlich aus seiner eigenen Biographie schöpfen. Andere Arbeiten werden von den Besuchern eher als fiktive Werke wahrgenommen, speisen sich aber in einigen Details aus seiner Biographie. Kabakov ist ein konzeptioneller Künstler, in dessen Werken die persönliche Erinnerung oder eine Spiegelung persönlicher Ereignisse referenziell eingesetzt werden.

Machen Sie einen wesentlichen Unterschied zwischen einem Porträt und einer Biographie?

Das ist eine schwierige Frage der Kategorisierung. Vielleicht kann man beide Begriffe im Ansatz insofern unterscheiden, dass man sagen kann: in einem Porträt spielt die Biographie selbstverständlich mit hinein, ist aber eher nachrangig. In einem dokumentarischen Porträt geht es vor allem darum, die Person und ihr Wirken vorzustellen, ohne dabei ein ganzes Leben nachzuzeichnen. Eine Biographie zielt meines Erachtens eher darauf ab, eine Lebensgeschichte nachzuzeichnen, das Wirken eines Menschen im Kontext darzustellen und weniger im Moment zu sein.

„Was man zeigen kann (und was nicht) merkt man, wenn man sich ein paar Jahre mit einem Künstler beschäftigt.“
Einige Fragen an Corinna Belz, Regisseurin („Gerhard Richter Painting“)

Gerhard Richter k

Worin besteht für Sie die Faszination des dokumentarischen Porträts?

Mich fasziniert die oder der Andere.

Wie entwickeln Sie in Ihrer neuen Arbeit über Peter Handke die Umsetzung von Literatur in Bilder?

Peter Handkes Prosa ist sehr reich an Bildern, die man als Leser auch wie extreme Nahaufnahmen oder Totalen auffassen kann. Eine der Nebenwirkungen beim Lesen ist ja das Entstehen innerer Bilder; der Text visualisiert sich wie von selbst vor dem inneren Auge. Es handelt sich dabei um einen sehr individuellen, subjektiven Vorgang, der unter anderem den Reiz und die identitätsstiftende Faszination des Lesens ausmacht. Die Bedeutung des Lesens ist ein Thema meines Films, das über ein Portrait hinausweist. Während der Vorbereitung und Drehphase habe ich einiges ausprobiert und bin zu dem Schluss gekommen, dass bei dem Versuch einen Text direkt umzusetzen, oft falsche Analogien entstehen. Sprachbilder und Filmbilder stören dann einander. Ich versuche diese Konkurrenz auf eine Weise zu lösen, die ganz auf die Stimme des Schriftstellers setzt und eine Bildebene schafft, die im Raum bleibt, oder aber durch die grafische Gestaltung von Schrift den Betrachter vom Zuschauer zum Leser werden lässt. So dass man dieses Kippen von einer Kulturtechnik in die andere, vom Lesen zum Schauen und umgekehrt bewusst und lustvoll erleben kann.

Wie entgeht man in der Arbeit mit prominenten und medienerfahrenen Protagonisten der Gefahr einen Film der Selbstdarstellung zu machen?

Dem kann man nicht entgehen, man kann es nur thematisieren. Außerdem sehe ich Selbstdarstellung nicht pejorativ. Ein gutes Beispiel dafür ist Gustave Courbet, der sich oft auf seinen Bildern dargestellt hat, so wie ja auch viele Künstler Selbstportraits gemalt haben.
Und es gibt von Louise Bourgeois einen schönen Satz wovon ihrer Kunst handelt: „The thrill of looking and being looked at“.
Ist das nicht der Kern des Dokumentarfilms? Denn schon Nanouk, wenn auch nicht ‚medienerfahren’, wusste ja, dass er aufgenommen wird und etwas darstellt.
Mit dem digitalen Foto / Film und deren Verbreitung im Internet ist sozusagen eine Demokratisierung der Selbstdarstellung und eine Vielzahl von Medienerfahrungen ausgelöst worden, die täglich eine Flut von Selbstportraits erzeugt, egal ob jemand prominent ist oder nicht. Bloß, wer soll sich das alles anschauen?
Es gibt ja auch Leute die einzig prominent sind, weil andere ihre Selfies anschauen. Vielleicht muss man auch die Bedeutung von Prominenz neu definieren.

Was kann ein Porträt als filmische Form heute noch leisten? Was kann es im Umgang mit prominenten und öffentlich durchleuchteten Protagonisten noch zeigen?

Zunächst glaube ich nicht, dass Prominente ‚durchleuchtet’ werden. Es gibt bestimmte Bilder, wie auch Meinungen und Anekdoten, die ab einem gewissen öffentlichen Interesse /Prominenz endlos recycelt werden.
Das sieht man besonders, wenn man sich in den Fernseharchiven Beiträge zu einem Prominenten Namen ab Mitte der Siebziger anschaut. Jeder schreibt und filmt vom anderen ab und so geht es endlos weiter. Die Beiträge werden immer kürzer und das  vermittelte Wissen immer schmalbrüstiger. (Heute fängt fast jeder Beitrag, Artikel über Richter damit an, dass er der teuerste lebende Künstler ist. Darin besteht in Bezug auf Richter die Wissenserweiterung seit Ende der Neunziger.)
Jenseits der Medien sind wissenschaftliche Arbeiten zum Werk interessant. Natürlich kann auch Archivmaterial wichtig sein, um zu sehen wie damals gefragt wurde und wie jemand sich zu Beginn seiner Laufbahn geäußert hat. Aber die Person wird da meist auch nicht durchleuchtet. Auch ich durchleuchte nicht, ich bin ja keine Röntgenologin.
Was man zeigen kann (und was nicht) merkt man, wenn man sich ein paar Jahre mit einem Werk, einem Künstler/Schriftsteller beschäftigt. Es gibt formale und inhaltliche Grenzen, auch solche, die man sich selbst setzt. Und manchmal auch überschreitet. Dann kann man nur hoffen, dass etwas dabei herauskommt, was auch ein paar andere Menschen interessiert.
Wenn es niemanden interessiert, so hat man zumindest, wenn man lang genug gedreht hat, interessantes und eventuell wichtiges Archivmaterial geschaffen.

„Der Tod ist meistens wie ein Brennglas, in dieser Zone stellen sich die existentiellen Fragen.“
Einige Fragen an Andres Veiel, Regisseur („Black Box BRD“, „Der Kick“, „Wer wenn nicht wir“)

Wer wenn nicht wir k

Worin besteht für Sie die Faszination des dokumentarischen Porträts, so dass Sie es häufig als Form ihrer Filme gewählt haben, jetzt auch wieder in einem Film über Beuys?

Für mich ist das Porträt nur relevant, wenn es über sich hinausweist und schafft, etwas Universelles zu erzählen. Mich interessieren die historischen und ökonomischen Verwerfungen, der politische und soziale Rahmen einer Biografie. Insofern ist das Filmporträt für mich auch nur der Rahmen, quasi das filmische Labor, das mir Erkenntnismöglichkeiten verschafft. Da die Biografie eine gewisse Zeitspanne umfasst, erzählt sie natürlich auch etwas über die historischen und ökonomischen Prägungen einer Person. Da kann es dann universell werden und in einen allgemein gültigen Raum weisen. Aus diesem Grund habe ich auch öfter zwei bis drei Biografien einander gegenübergestellt.

Was kann das Porträt und Ihrem Fall die Biografie als filmische Form leisten?

Wenn man eine Biografie in Form einer Zwiebeldramaturgie erzählen kann, dann gewinnt man oft Einblicke, die überraschen. Einblicke, die sich den ersten Zuschreibungen widersetzen. Wenn sich Personen etwa ganz anders verhalten als erwartet. Es braucht wie gesagt das Universelle und Unerwartbare als Voraussetzung. Wenn sich zum Beispiel in „Black Box BRD“ Wolfgang Grams und Alfred Herrhausen, die als Antagonisten aufgebaut werden, in ihrem unbedingten Glauben an die Kraft des besseren Arguments so nahe kommen, dass der Antagonismus nicht mehr haltbar ist, dann sind das die Widersprüche und Überraschungen, die mich interessieren. Das ist für mich der Kompass.

Joseph Beuys, Wolfgang Grams und Alfred Herrhausen in „Black Box BRD“, Thilo, Rudi und Tillmann in „Die Überlebenden“ – Sie haben sich in diesen Arbeiten immer Toten und damit zeitlich abgeschlossenen Biografien zugewandt. Wieso war das für Sie interessanter oder relevanter als das Porträt von Lebenden? Ausnahme wäre „Der Kick“, für die Sie dann auch eine ganz andere Form der Verarbeitung und Verdichtung gewählt haben.

Der Tod ist meistens wie ein Brennglas, in dieser Zone stellen sich die existentiellen Fragen. Das ist manchmal anstrengend, aber es gibt immer auch Belohnungen im Sinne verdichteter Erkenntnis. Manchmal brauche ich aber auch Stoffe, die ganz und gar todesfern und gegenwärtig sind. In „Die Spielwütigen“ etwa habe ich mich mit jungen Schauspielern und ihren Lebensträumen beschäftigt.
Für mich ist das Arbeiten an Biografien wie eine Art ‚Wiedervorlage’. Mich interessiert nicht das Aktuelle, keine Jahrestage. Wenn die Medienkarawane längst weiter gezogen ist, fängt meine Arbeit an. Dann kann ich den Blick auf eine Biografie werfen und sehen, ob die Fragen, die mich interessieren, schon beantwortet wurden.
Bei „Wer wenn nicht wir?“ kamen zum Beispiel in der Beschäftigung mit der Beziehung der RAF-Ikone Gudrun Ensslin und dem gegen sein Lebensende quasi dem Wahn verfallenen Bernward Vesper ganz neue Aspekte in die RAF-Geschichtserzählung. Gerade wenn eine Biografie nicht von hinten aufgerollt wird, sondern man die Vorgeschichte betrachtet (nur als ein Beispiel die hochlyrischen Texte von Ensslin), dann sieht man, wohin sich eine Biografie auch hätte entwickeln können und dass sie lange nicht so zwangsläufig ist, wie sie oft erzählt wird.
Im Fall von Joseph Beuys war bisher nur wenig über den politischen Beuys zu hören. Mich interessiert vor allem die Verschränkung seines radikalen politischen Denkens mit seiner Biografie und seiner Kunst.

Die Themen RAF / Nazi-Historie / Geschichte der frühen BRD haben Sie in „Wer wenn nicht wir?“ als Spielfilm verarbeitet – warum erschien Ihnen die dokumentarische Form hier nicht adäquat? Was kann eine fiktionale Form in Bezug auf eine Biographie leisten?

Die Entscheidung für den Spielfilm hat damit zu tun, dass viele der relevanten Stimmen nicht vor der Kamera auftreten wollten. Das war ja auch schon bei „Der Kick“ der Fall.
Wenn also das Eigentliche nicht gesagt und gezeigt werden konnte, war es mich in dem Fall konsequent, ganz in die Fiktion zu gehen. Animationen oder andere Mittel haben mich nicht interessiert und ich bin auch kein Freund des Dokudramas, das ist ja eher eine Fernsehkonvention.