Dokumentarfilminitiative

Nachruf Marcel Ophüls

Ein Foto von Marcel Ophüls. Ein älterer Herr in braunem Jacket, mit rotem Pullover und Hemd und Krawatte, Brille und Glatze, sitzt an einem Tisch uns zugewandt, er hat den rechten Ellbogen aufgestützt und erhebt den Zeigefinger, er lachst. Neben ihm auf dem Tisch Glas und Flaschen.

Marcel Ophüls hat als Dokumentarfilmer Maßstäbe gesetzt, weil er seinen Gesprächspartner:innen mit scheinbarer Leichtigkeit entlockte, was sie eigentlich verbergen wollten. Er kombinierte Charme und Beharrlichkeit, um die Masken seiner Interviewten fallen zu lassen – seien es Täter:innen oder Opfer. Dabei ließ er sie mit Respekt zu Wort kommen, ohne ihnen die Deutungshoheit zu überlassen. Seine Filme demontieren Selbstbetrug und Geschichtsklitterung, nicht durch Anklage, sondern durch kluge Montage und subtile Regie. Ophüls arbeitete mit einem präzisen Gespür für Zwischentöne und brachte historische Verdrängung zum Vorschein. Er nutzte Archivmaterial und ironische Brechungen, um Erinnerung und Realität in ein produktives Spannungsverhältnis zu setzen. Ophüls zwingt uns hinzusehen, wo andere wegschauen. Seine Werke – Meilensteine der audiovisuellen Geschichtsschreibung – sind unbequeme Erinnerungsarbeit und zugleich ein Aufruf zum Denken.

Am Samstag, 24. Mai 2025, ist der deutsch-französische Dokumentarfilmer im Alter von 97 Jahren verstorben – seine kritische Stimme und seine von moralischer Dringlichkeit geprägte Haltung und Handschrift werden fehlen.

Buchcover Band 2.  hell und dunkelblau gestreift. Darauf in einem dunkelblauen Feld: Marcel Ophüls Widerreden und andere Liebeserklärungen. Texte zu Kino und Politik. Dann:  herausgegeben von Ralph Eue und Constantin Wulff. Darunter weiß in schwarzem Feld: VORWERK 8.

Wenig bekannt ist, dass Ophüls auch ein pointierter Autor war: Seine über Jahrzehnte entstandenen Essays und Kommentare sind in dem Band Widerreden und andere Liebeserklärungen versammelt, der in der dfi-Reihe Texte zum Dokumentarfilm erschienen ist. Darin zeigt Ophüls sich auch als streitbarer Beobachter seiner Zeit, der Politik, Medien und sich selbst mit unermüdlicher Schärfe hinterfragt. Der Band ist leider vergriffen, aber in einigen Antiquariaten noch erhältlich und eine unbedingte Lektüre-Empfehlung.

Foto: Marcel Ophüls 2016 beim © Filmfestival Max Ophüls Preis