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Die Farbe des Geldes. Dokumentarfilme zur New Economy.

Vom Tauschwert des Dokuments: ROGER & ME (US, 1989)
Filmeinführung von Michael Barchet

Dokumentation der dfi-Tagung vom 26./27. Januar 2001

pdf Einführung von Michael Barchet

Dieser Text geht auf eine Einführung zurück, an die sich die Vorführung von Michael Moores 1989 gedrehten Dokumentarfilm ROGER & ME direkt anschloss. Mit einem Dokument dieses Ereignisses allerdings wird man hier nicht rechnen können. Zumal die Konvention der Filmeinführung, in der Informationen über historische Kontexte wie Produktionsdaten, Regisseursbiographie und – filmographie, sowie Einzelheiten der kritischen Rezeption vorgesehen sind, an dieser Stelle getrost dem Hypertextmedium überlassen werden kann.

Die folgenden Ausführungen werden vielmehr versuchen an hand von ROGER & ME mit der figurativen Wendung der Farbe(n) des Geldes einige Elemente dokumentarischer Wertschöpfung in den zu Blick nehmen; es geht also um Fragen nach dem flukturierenden Wert des Dokumentarischen in Systemen des symbolischen Tauschs.

Im folgenden werden ich die zwei Szenarien meiner Erörterung zunächst kurz umrissen und im weiteren dann breiter entfalten.

A) Die Renaissance des Dokumentarfilms in den späten 80er Jahren

An ROGER & ME hat sich die amerikanische Debatte der späten 80er Jahre entzündet, in der von einer "Renaissance des Dokumentarfilms" und damit einher gehend der Formation einer "new documentary" die Rede ist. Moores Film ist dabei keineswegs nur als das stilbildendes Werk einer neuen Herangehensweise gefeiert worden, sondern wurde auch als Symptom für eine neue Epoche in der Verfallsgeschichte des Authentischen kritisiert. Die Rede der "documentary rennaissance" hat sich dabei zum Einen an den Mustern der klassischen kulturellen Ökonomie des Dokumentarischen orientiert, in der "Blütezeiten" und Durststrecken der Gattung als Konjunkturzyklen eines mehr oder minder konstanten, gesellschaftlich determinierten Wertes des Dokumentarfilms begriffen werden — So waren denn diese "Blütezeiten" unweigerlich Momente wirtschaftlicher, politischer und sozialer Krisen. Zum anderen hat gerade die symptomatische Lesart von Roger & Me sich sehr produktiv dafür erwiesen eine Reihe von neuen diskursiven Wertschöpfungsketten für das Dokumentarische zu thematisieren, die über das "Relevanzmodell" der traditionellen kulturellen Ökonomie des Dokumentarfilms hinausgehen.

Man wird sehen, dass Geld hier zum einen als leuchtendes Orange auf himmelblauem Grund erscheint und zum anderen als der Mehrwert einer produktiven Sorge um den Tauschwert des Authentischen.

B) Der Wert des Scheiterns

ROGER & ME erzählt vom kalkulierten und dramaturgisch unverzichtbaren Fehlschlagen eines dokumentarisch/journalistischen Filmprojekts. Darüber hinaus kommentiert der Film im Modus der Ironie auch traditionelle dokumentarische Verfahrensweisen und lange gehegte professionelle und künstlerische Identitäten des Dokumentaristen, die er dem Gelächter der Zuschauer preisgibt. Moores Film zeigt dabei eine genaue und erfrischend unverschämte Analyse kulturellen Kapitals und schreckt weder vor Albernheit noch vor der Denunziation der eigenen Tradition zurück. Es scheint – um in den Worten von Paul Arthur zu sprechen-, dass ROGER & ME in der Tat die "Asche der dokumentarischen Tradition vergoldet" und damit aus der Aufkündigung dokumentarischer Goldstandards, - wie der eines eng gefassten Begriffs normativer Authentizität - neues symbolisches und nicht nur symbolisches Kapital schöpft.

In diesem Szenario scheint auch eine Konfiguration auf, die ich vorläufig als die "Sehnsucht nach dem unmöglichen Ort" bezeichnen will. Obwohl dieser Mehrwert der Utopie auf einer Ebene der Rhetorik von Roger & Me sicherlich Gegenstand karnevalistischer Umstülpung ist, versucht der Film gleichzeitig die dokumentarische Aura emanzipativer Öffentlichkeit bei aller Ironisierung doch noch einmal zu retten, um sie gegen seine eigene gelegentlich doch recht zynisch vorgehende "neue ästhetische Ökonomie" des Dokumentarischen zu verteidigen. So eindringlich der Film für eine globalisierte Authentizität der Haltung gegenüber dem regionalisierten Anspruch "technischer" Protokolle argumentiert, so deutlich ist die dramaturgische Spannung zwischen Rhetorik und Beobachtung, die den Terror des Alltäglichen als Monopolkapital dokumentarischer Repräsentationsformen beansprucht.

A) ROGER & ME und die "Documentary Renaissance"

Das greifbarste Zeichen für den damit umschriebenen Komplex steht den Zuschauern von ROGER & ME vor Augen, noch bevor die erste Einstellung des Filmes das Licht der Leinwand erblickt. Es ist dieses laute und strahlend bunte Logo des klassischen Hollywood Mainstream, das den Weg der Distribution von ROGER & ME erleuchtet.

Den bunten Farben des kommerziellen Markenzeichens folgt die kaum weniger stilisierte asketische Ästhetik der Notwendigkeit, mit der eine Firma namens "Dog eats Dog" sich in weißer Stanzschrift in der Schwärze des Kaders als Produktionsinstanz inszeniert. Der Filmtitel schließlich zeigt sich als Comicschrifttype, deren Verspieltheit auch an Underground-Comics der 60er und 70er Jahre erinnert.

Es fällt nicht schwer, diese Behauptung von Kreativität, Frechheit und stilistischer Freiheit als umgekehrte Proportion zum verfügbaren Budget zu lesen. Wir registrieren sie widerstandslos als Konfiguration des "independent films" - des unabhängig produzierten Dokumentarfilms allemal. Dass der Abspann von ROGER & ME lange Listen von Danksagungen und öffentlichen Geldgebern anführen wird, gehört zu den Konventionen dieses Genres von Produktionsbedingungen und ist schon zu Beginn so vorhersehbar, wie das happy end im klassischen Hollywood Feature – oder das Sterben im fortgeschrittenen Akt der Oper. Aber wie passt das Hollywood Logo zu dieser kulturellen Dramaturgie, die doch traditionell so emphatisch die Freiheit ihrer grauen finanziellen Resourcen und die breite Palette ihrer möglichen thematischen und stilistischen Färbungen gegen die standardisierte Farbe kulturindustriell gemachten Geldes gesetzt hatte?

Wenn die Aura der traditionellen Kinoware sich an die generische Form der "independent documentary" schmiegt, sich die Produktionsbedingungen des "shoe string budget" so umstandslos mit der heiligen Statistik des Profits verknüpfen, in der ROGER & ME als kommerziell erfolgreichster Dokumentarfilm aller Zeiten geführt wird, und die "tag line" des Films vom Dokumentaristen als "Rebel with a Mike" spricht, dem Warner Brothers für die Verleihrechte gerade eben immerhin drei Millionen Dollar überwiesen hat, so scheinen dies einfach Widersprüche zu sein. Widersprüche allerdings, die keineswegs auf eine idiosynkratische Situation von ROGER & ME verweisen, oder gar moralische Wertungen erfordern, sondern vielmehr in den zeitgenössischen Debatten um die "Renaissance des Dokumentarfilms" zum zentralen Topos avancieren.

So notieren in den späten 80er und frühen 90er Jahren eine Reihe von zeitgenössischen Beobachtern - zumeist im Gestus des Erstaunens - dass es erstmals seit den 60ern mehr und mehr Dokumentarfilmen gelingt sich im kommerziellen Kino zu etablieren – ganz so als wären documentaries in der Tat wirklich movies.

Wären dies nur Filme wie Alex Keshishians Madonna: Truth or Dare (US, 1991) oder andere rockdocumentaries dann wäre das Staunen kaum angebracht. Seit D.A. Pennebakers Filmen in den 60er Jahren sind Verfahrensweisen beobachtenden Dokumentarfilms, der sich Performer und Performances in den Blick nimmt, immer wieder, wenn auch vereinzelt durch die Verleihketten des legitimen Kinos gelaufen. Aber jetzt handelt es sich um eine Reihe von documentaries, darunter eben ROGER & ME, aber auch Filme wie The Thin Blue Line (US, 1988) von Errol Morris, Paris is Burning (US, 1990) von Jenny Livingston und andere, deren formale wie thematische Gestalt zumindest eine neue Struktur der Rückkoppelung in die Verwertungsschleifen der Unterhaltungsindustrie zu spiegeln scheinen.

Auch die Akademie reagiert auf diese Renaissance mit Produkten für ihren eigenen Markt. Seit den 70er Jahren nicht mehr aktualisierte Standardwerke der Dokumentarfilmgeschichtsschreibung wie Eric Barnouws Documentary:A History of the Non-fiction Film (1993) oder Richard Meran Barsams Nonfiction Film: A Critical History (1993) werden fortgeschrieben und neu aufgelegt. Neue Dokumentarfilmgeschichten, wie etwa The Documentary Idea von Jack Ellis (1989) erscheinen. Nach mehr als zehn Jahren unziemlichem Schweigens meldet sich mit einem Mal auch wieder Dokumentarfilmtheorie in einem richtigen kleinen Boom zu Wort. (z.b. Bill Nichols Representing Reality, 1991 oder Claiming the Real von Brian Winston , 1995) und andere). Selbst Bücher, wie William Guynns A Cinema of Nonfiction, das schon Anfang der 80er entstanden war und dann im Dunkel der Mikrofilmarchive dämmerte finden mit einem mal Verlage.

Dazu kommt das amerikanische Fernsehen , das zu dieser Zeit massiv beginnt seine prime time mit sogenannten "reality based programming" (das damals heftig diskutierte "reality TV" im Stile von Dial 911 oder "Americas Funniest Home Movies") zu bestücken.

Akademie, Filmkritik und die Programmplaner des Fernsehens scheinen zur gleichen Analyse der Situation zu kommen: Es gibt einen "neuen Hunger nach Wirklichkeit" in der amerikanischen Kultur - was nichts anderes heissen kann, als ein neuer Wert für "non-fiction" im weitesten Sinne im jeweiligen System des Tausches von Aufmerksamkeit.

Einige wie Paula Rabinowitz in ihrem 1994 erschienenen Buch They must be Represented deuten die Phänomenologie dieses neuen Wertes ganz im klassischen Muster der Konjunktur des Politischen, die auch Dokumentarfilmgeschichtsschreibung gerne als impliziten Subtext ihrer Erzählung benutzt hatte. Als Zeichen des Aufbruchs somit, aus den zynischen und politisch apathischen 80ern, indem nun mit dem endgültigen Ende der Ära Reagan und dem Erstarken der idendity politics eine nächste Blütezeit der Gattung ansteht: Die Wirtschaftskrise mit ihrer politischen Radikalisierung in den 30ern, die diversen Protestkulturen der 60er und eine neu erstarkende politische Kultur der späten 80er, die zudem auf wirtschaftlichen Krisensymptomen aufsetzt, sind der Kontext in dem Dokumentarisches seinen zwischenzeitlich verlorenen Aufmerksamkeitswert neu konstituiert. (In Europa wird man wenig später ebenfalls eine Renaissance des Dokumentarfilms diagnostizieren und dies mit den historischen Umwälzungen in Zusammenhang bringen, die sich aus dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Fall der Mauer ergeben).

Dokumentarfilm wäre hier also ganz im Sinne seiner traditionellen kulturellen Ökonomie als symbolischer Tauschwert der Orientierung und Intervention einzusetzen, der die äußerliche Krise zur Bedingung hat. Ganz so, als ob das Dokumentarische als fester Wert, als zwischenzeitlich verdrängtes Realitätsprinzip in den psychischen Ökonomien der Kultur nur auf die Bedingungen seiner Wiederkehr warten muss, um von den Gesetzen dieser Ökonomie wieder in sein Aufmerksamkeitsrecht und damit einen festen Tauschwert eingesetzt zu werden. Es sind oft die Krisen der symbolischen Geldwährungen gewesen, in denen die Sehnsucht nach der scheinbaren Materialität des Goldstandards Konjunktur hatte.

Doch schon die frühen Debatten der späten 80ern zeigen zwei entscheidende Variationen dieses Modells der Krisenzyklen. So wird zum Einen die neue Dynamik des aufkommenden Realitätsfernsehens von einigen Beobachtern wie Charles Musser im Rekurs auf einen historischen Begriff des frühen Kinos als Nickelodeonisierung beschrieben. Eine Art Fernsehen der Attraktionen, dessen sich ständig verkürzende Aufmerksamkeitspannen nicht einfach als Verfallsgeschichte zu erzählen sind, sondern Symptome weitergehender medialer Ausdifferenzierungen sind. Als ein Effekt dieser Ausdifferenzierung wäre durchaus auch jener neue Wert einzusetzen, den die lange, diskrete Form des dokumentarischen Kinofilms, gegen die kurzen, zerrissenen Momente des (neo) primitiven Fernsehens setzen kann. Eine Veränderung in den Ökonomien der Aufmerksamkeit scheint sich anzubahnen, die sich weniger als Spiegel gesellschaftlicher Krisen lesen lässt, sondern vielmehr aus den Binnenmärkten der Aufmerksamkeit und der zunehmenden Verknappung von Aufmerksamkeit als Objekt des Tausches (von dem kommerzielles Fernsehen in ganz anderer Weise als das Kino schließlich leben muss).

Wichtiger noch jedoch sind die Bezüge zur Tradition des photomechanischen Dokuments, die in den späten 80er Jahren im Lichte einer heraufdämmernden Epoche des digitalen Bildes erscheinen. Wenn durch die digitale Produzierbarkeit des Bildes, die Bedingung der Einschreibung zur bloßen Möglichkeit wird, der "Spiegel also sein Gedächtnis verliert" (wie LindassWilliams in "Mirrors without Memory" 1993 schreibt), dann kündet die emphatische Aufmerksamkeit für Dokumentarisches im weitesten Sinne auch das nahende Ende von technisch — aus der Reproduktion - gewonnener Authentizität an, die den Protokollen der Konstruktion von medialer Welterfahrung endgültig die absolute Macht bestätigt — dadurch jedoch ganz und gar unparadox den Tauschwert des Authentischen beträchtlich steigert.

B) Der Wert des Scheiterns

In diesem Kontext ist es zunächst nur ein weiterer Widerspruch, dass die Filme, die als Kanon der "new documentary" ausgemacht werden, eben nicht versuchen, den Marktwert des Authentischen als immer knapperes Gut zu schützen, sondern vielmehr aggressiv und laut an der Aufkündigung dokumentarischer (Gold)standards arbeiten. Es scheint gerade das - oft komödiantisch inszenierte - Scheitern des dokumentarischen Projekts, das zu einem zentralen Topos wird. So hatte schon Mc Elwees Sherman's March (US,1986) höchst vergnüglich das Scheitern des Direct Cinema Ansatzes an der Historie als narzistische Krise inszeniert und Filme wie Tony Bubas Lightning over Braddock, (US1989), Nick Broomfields DRIVING ME CRAZY (US 1988) sowie eben ROGER & ME setzen das Fehlschlagen ihrer als Binnenerzählung gestalteten dokumentarischen Filmprojekte ins Zentrum ihrer Dramaturgie - dazu gehört auch die mehr oder minder präzise ausgearbeitete (Selbst)inszenierung des Dokumentaristen vor der Kamera als komische, pikaresque Figur.

Über eine performative Kritik an den beobachtenden Ansätzen des Dokumentarischen hinaus zeigt sich dort auch eine weiter ausgreifender performativer Zweifel an der ideologischen Identität der Gattungstradition. ROGER & ME emphatischer Antiintellektualismus gehört dazu (eine Pose, die Moore übrigens anläßlich von Pressekonferenzen und ähnlichem auf seine Selbstinszenierung in anderen medialen Kontexten ausdehnt) und die offensichtliche Sinnlosigkeit des "eigentlichen" dokumentarischen Projekts, das nur noch als McGuffin dient um andere - scheinbar emphemere Diskurse zu organisieren. Oder wäre die Behauptung von Roger & Me wirklich ernst zu nehmen, mit der Figur des Chefmanagers von GM den Schuldigen für den Terror der Modernisierung und Globalisierung von Produktionsverhältnissen vorzeigen zu können? Dass die Versuche jenen Roger Smith zum Gegenstand einer dokumentarischen Befragung zu machen, - sich also der Struktur der anonymen Phänomene über "den Menschen" zu nähern - dennoch das zentrale narrative Movens von ROGER & ME bilden, ist hingegen überhaupt kein Widerspruch.

Denn der respektlose aber genau kalkulierte Umgang mit Konventionen dokumentarischer Authentisierung von Wirklichkeitsaneignung ist einer der "Produkte" die ROGER & ME anbietet. Vielzitiert und auch kritisch angemerkt wurde etwa die Mißachtung "redlicher Praxis" die ROGER & ME vorführt. Etwa die "Verfälschung" chronologischer Abläufe im Dienste satirischer Effekte. Nein – als Ronald Reagan zu Besuch in Flint/Michigan ist, hat keiner die Kasse des Restaurants geklaut, das war an einem anderen Tag; auch liegen die vergeblichen Versuche der Stadtverwaltung aus Flint eine Touristenattraktion zu machen zum Teil schon vor der großen Schließungswelle der GM Werke und waren keine direkte Panikreaktion, wie der Film dies darstellt. Hier setzen sich die Logik der satirischen Effizienz über das Protokoll der Reproduktion hinweg.

Doch interessanter, weil subtiler, ist der Umgang des Films mit historischem Filmmaterial, also der Aura der Kompilation – Man erinnere sich an die lange Spielfilmsequenz in der die Rückkehr des verlorenen Sohnes ins Elternhaus gezeigt wird. Es war lange eine feste Regel des dokumentarischen Umgangs derartiges Material als filmisches Äquivalent von Zeitzeugenschaft oder manchmal auch als Quelle ideologiegeschichtlicher Argumentation einzusetzen. (Paradigmatisches Beispiel ist Connie Fields Klassiker THE LIFE AND TIMES OF ROSIE THE RIVETER (US, 1980). ROGER & ME wischt diese rhetorische Konvention des Angemessenen nicht einfach vom Tisch, er ironisiert sie vielmehr ziemlich schlau, indem die lange unkommentierte Sequenz aus dem OFF am Ende mit dem lapidaren Satz kommentiert wird, die Heimkehr des Protagonisten sei in diesem, seinem Fall "not quite like that" gewesen. Die schiere Lust am Camp, die das Vergnügen an der Rezeption eine solchen Passage tragen kann, wird eben nicht in das Gerüst einer historiographischen Relevanz eingegliedert. Vielmehr wird hier ein Konstrukt dokumentarischer Vergangenheitsvergewisserung dem durchaus befreienden Lachen einer respektlosen, karnevalisierenden Umstülpung freigegeben.

Zumal die Selbstinszenierung des Dokumentaristen vor der Kamera keine Gelegenheit ausläßt, den "Rebel with a Mike" als pikareske Figur auszustellen, deren Rebellion sich nicht allein gegen die Konventionen des Geschmacks einer mit geradezu grotesker Undifferenziertheit dargestellten herrschenden Klasse richtet, sondern eben auch gegen das moralisierende und sendungsbewußte Element der dokumentarischen Tradition. Hier wird das "Sprachrohr für die Anderen" zum Megafon eines anarchistischen Ichs, das seine Zugehörigkeit zu jenen Anderen zwar ebenso plausibel behauptet wie durchsichtig inszeniert. Ein beträchtlicher Teil seines Schauwertes, und damit auch den direkt zur ersten Ökonomie kompatiblen Wert auf dem Markt der Aufmerksamkeit, bezieht ROGER & ME durchaus und ganz emphatisch aus seiner Denunziation professionalisierter dokumentarischer Selbstverständnisse.

Allerdings liegt in der Geschmacklosigkeit noch immer der normative Geschmack und das Kapital der Normverletzung stammt vom Wert der verletzen Konvention. Wobei allerdings der Akt der Verletzung als Schau-Wert durchaus auf eine Dynamik der symbolischen Wertschöpfung verweist.

So ist das Lachen der Zuschauer über ROGER & ME sorgfältig kontingentiert - es ist weitgehend reserviert für die dokumentarische (und journalistische) Konvention. Dabei wird respektlos vorgegangen. Es waren schließlich gerade die historischen Organisationsformen der Arbeiterbewegung, die Auto- und Schwerindustriegewerkschaften, die auch sowohl die ökonomische Basis wie auch die ideologischen Kollektivitätsfantasmen sozial-dokumentarischer Intervention gestützt hatten. Wenn ROGER & ME nahezu obsessiv von der Ineffizienz dieser historischen Organisationsformen und der auf ihnen aufsetzenden dokumentarischen Praktiken spricht, dann ähnelt dies den Tiraden der neuen Unternehmer über die Ineffizienz und Überholtheit der traditionellen Arbeits- und Betriebsstrukturen. In beiden Fällen jedoch wird die "alte Ökonomie" als Szenario der erstarrten Ruine und als Gegenstand ironischer Distanzierung gebraucht um den neuen Tauschwert herzustellen.

Ist es ein Zufall, dass die tatsächlich neuen Produkte der "new economy" und der "new documentary" weniger auf neuer Technologie oder neu erfundenen Praktiken aufsetzen, als vielmehr auf emphatischen Inszenierungen von individuellen Agenten der Geschichte. Wenn also die Figur des Dokumentaristen nicht nur vor der Kamera erscheint, sondern die Instanz eines Subjekts der Vermittlung zum neuen Schauwert wird (früher nannte man das mal "Selbstreflexivität"), dann scheinen sich hier new documentary und new economy doch sehr nahe. Auch wenn sich die Performances des Unternehmers als Star doch gelegentlich von den Inszenierungen des Dokumentaristen als Clown unterscheiden, so sind sie doch Zeichen einer Ökonomie der Aufmerksamkeit, die - zumindest zeitweise - das traditionelle Verständnis des Ökonomischen zu überschreiben scheinen; auch weil sie den Wert kulturellen Kapitals gegen die terrorisierende Referenz des materiellen Produktwertes und der ungleichen Verteilung der Produktionsmittel durchsetzt. Davon hat die dokumentarische Tradition immer geträumt.